Donnerstag, 10. Mai 2012

Mehr Dialog wagen!

Ein Blogger goes totes Holz. 

Vor einigen Tagen kam das Hamburger Abendblatt mit der Frage auf mich zu, ob ich einen Debattenbeitrag für die Seite Zwei verfassen könnte. Und da viele hanseatische Politiker noch nicht so online unterwegs sind bzw. die sozialen Netzwerke nicht für den Bürgerdialog nutzen, erreicht man diese am besten offline. Deshalb bin ich dem Wunsch sehr gerne nachgekommen.


Mehr Dialog wagen!
(Überschrift im Abendblatt:  Hamburgs Politiker sind Netzwerk-Muffel)

Nur jeder fünfte Bürgerschaftsabgeordnete schickt mindestens einmal im Monat etwas über Facebook. Das Potenzial wird nicht genutzt 

Über 630 000 Menschen gefällt die Facebook-Fanseite der Stadt Hamburg; die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit (SPD), twittert seit über drei Jahren, und der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) rühmte sich kürzlich damit, "die sozialen Netzwerke ins Rathaus geholt zu haben". Gern sprechen Politiker von der "Internethauptstadt Hamburg". Man könnte annehmen, die Hamburger Politik sei im Internet angekommen und nutzt Facebook, Twitter und Co. wie selbstverständlich für den aktiven Bürgerdialog.

Dem ist leider nicht so. Hamburger Politiker schmücken sich zwar gern mit den Deutschlandzentralen von Facebook, Google und dem Netzwerk Xing, die an der Alster residieren, sie selbst nutzen die sozialen Netzwerke aber noch nicht optimal.

Denn keine Behörde, kein Senator und kein Staatsrat tauscht sich bisher direkt mit den Hamburger Bürgern im Internet aus. Einzige Ausnahme: Innensenator Michael Neumann (SPD), er bloggt aktiv. Nur jeder fünfte Bürgerschaftsabgeordnete postet mindestens einmal im Monat etwas im größten sozialen Netzwerk Facebook, und nur jeder vierte Parlamentarier kommuniziert ab und an über den populären Kurznachrichtendienst Twitter.

Das ist angesichts von immerhin rund einer Million aktiven Hamburger Facebook-Nutzern (.pdf) eine erstaunlich geringe Aktivität der lokalen Politikprominenz. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, und die zeigen sehr eindrucksvoll, wie man diese Instrumente für den Austausch und als Rückkanal zum Wähler effektiv und erfolgreich nutzen kann.

Doch das ist zu wenig!

Aktuelle Studien zeigen, dass sich 96 Prozent der Bundesbürger eine offenere Gestaltung von Politik und Verwaltung sowie eine intensivere Einbeziehung ihrer eigenen Vorstellungen - auch über das Internet - wünschen. Die Mehrheit glaubt nämlich, dass das Vertrauen in die Politik wachsen könnte, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger stärker via Internet an der Politik beteiligen könnten.

Mehr als zwei Drittel der Deutschen hoffen zudem, dass sie dann auch mit der konkreten Politik zufriedener wären.

Bei den 18- bis 29-Jährigen ist das Internet die Informationsquelle Nummer eins für politische Themen, abgeschlagen folgen Tageszeitungen, Fernsehen und das persönliche Gespräch. Für zwei Drittel von ihnen ist die Kontaktaufnahme zu Politikern über das Internet und soziale Netzwerke schon heute Alltag und der wichtigste Weg zur Politik.

In einem Stadtstaat, in dem knapp 1,4 Millionen Bürger online sind und sich über die Hälfte heute schon aktiv im Netz über Politik informiert - Tendenz stark steigend - wird das Potenzial des Kanals bei Weitem noch nicht erkannt und ausgeschöpft.

So wichtig der Infostand auf dem Wochenmarkt und die Bürgersprechstunde im Wahlkreisbüro auch sind und bleiben werden, sie haben nicht mehr viel mit der Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von Bürgern zu tun. Gerade Jüngere, Berufstätige, die viel unterwegs sind, und ältere Menschen, die oft nicht mehr so mobil sind, schätzen die zeit- und ortsunabhängige Erreichbarkeit von Politikern.
Dabei ist aber nicht nur die Präsenz in einzelnen Netzwerken entscheidend, sondern auch der kulturelle Wandel, der dahintersteckt: Interaktion, Transparenz und Bürgerbeteiligung sind die neuen Zauberworte in der politischen Kommunikation.

Politiker sollten selbstverständlich Online-Sprechstunden abhalten, auf Fragen via Facebook, Twitter oder E-Mail antworten, sie sollten mit dem Bürger auf den Plattformen auf Augenhöhe aktuelle Entscheidungen diskutieren und für ihre Positionen werben.

Bei dieser Form des Bürgerdialogs überwiegen eindeutig die positiven Effekte. Ein kritischer Kommentar auf der Facebook-Pinnwand oder eine unsachliche Ansprache via Twitter sind nicht annähernd so schlimm wie eine politikverdrossene Gesellschaft mit einer abnehmenden Wahlbeteiligung.

Seid mutig und probiert es aus!


Martin Fuchs, 32, ist Politikberater und Blogger. Unter www.hamburger-wahlbeobachter.de analysiert er die Hamburger Politik.

Im Originallayout finden Sie den Artikel hier.

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