Wahlbeobachter in den Medien

Mittwoch, 11. September 2013

Bundestagswahlen und Barrierefreiheit: Wie zugänglich sind Parteien-Websites vier Wochen vor der Wahl?

Logo des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg
Logo des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg
Gastbeitrag von Heiko Kunert, Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg e.V. 

Wie schneiden die Internet-Seiten der Bundesparteien im Wahljahr 2013 hinsichtlich der Barrierefreiheit ab? Sind deren Inhalte für blinde Menschen wie mich oder für sehbehinderte Nutzer zugänglich? Insbesondere für diese Gruppe ist das Internet eine wichtige Informationsquelle. Mithilfe von Screenreader, Sprachausgabe und Braillezeile ist das Surfen ohne Probleme möglich. Aber auch die Webseiten müssen einige Voraussetzungen mitbringen.

Bereits im April habe ich an dieser Stelle die Webseiten der Bundesparteien getestetmit negativem Ergebnis. Darauf haben sich einige Parteien gemeldet und versprochen ihre Seiten nochmals hinsichtlich der Barrierefreiheit zu überarbeiten.

Deshalb habe ich knapp einen Monat vor der Wahl die Seiten nun noch einmal überprüft. Insbesondere bei der CDU und bei der Linken gab es deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Frühjahr. Hier wurden Relaunches genutzt, um zumindest erste Schritte Richtung Accessibility zu gehen. Auch die Grünen haben ihre Seite überarbeitet und Fortschritte gemacht - leider haben sie derzeit aber eine Kampagnen-Seite vorgeschaltet, die für blinde Menschen eine unüberwindbare Hürde darstellt.


Der Test



Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)
www.cdu.de


September 2013
Screenshot der CDU-Webseite
Dank vorhandener Sprungmarken kann ich mit einem Klick zum Hauptinhalt und zur Seitenübersicht springen. Die Startseite bietet sehr viele Inhalte, großflächige Bilder und Animationen. Für sehbehinderte Internet-Nutzer ist sie daher schwer bedienbar. Alternativtexte gibt es nur teilweise – manchmal spuckt die Sprachausgabe auch nur ein unverständliches Zahlenwirrwarr statt einer Bildbeschreibung aus. Eine Überschriftenstruktur mit unterschiedlichen Ebenen ist vorhanden. Das Wahl- bzw. Regierungsprogramm wird zum Download im PDF-Format angeboten. Es ist zwar zugänglich, aber schlecht strukturiert. Daneben werden Fassungen in leichter Sprache und in Gebärdensprache angeboten.

Fazit: Ausreichend

Nachtrag: Im Nachgang zum Test hat die CDU eine akustische Version des Wahlprogrammes online gestellt und auch ein Großteil der Textbeiträge kann man sich nun vorlesen lassen. Eine  Bewertung der Webseite würde nun besser ausfallen.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 
www.spd.de

September 2013
Screenshot der SPD-Webseite
Überschriften und Orientierungspunkte (Landmarks) sind vorhanden. Mit diesen erschließt sich mir die Struktur der Seite und ich kann gezielt Inhalte ansteuern. Die Überschriften haben unterschiedliche Ebenen, so dass sich beim Lesen eine Struktur erschließt. Es gibt Spunglinks, mit denen ich direkt zur Navigation und zum Hauptinhalt springen kann. Grafiken verfügen über Alternativ-Texte, die allerdings manchmal aussagekräftiger sein sollten. Die Seite ist weitgehend skalierbar und kann an Bedürfnisse sehbehinderter Menschen angepasst werden. Animationen können gestartet und gestoppt werden. Das Wahl- bzw. Regierungsprogramm im PDF-Format ist unzugänglich. Alternativ gibt es eine Word-Fassung und eine in Leichter Sprache. Daneben ist via Soundcloud eine Audiofassung eingebunden.

Fazit: Gut




Freie Demokratische Partei (FDP)

September 2013
Screenshot der FDP-Webseite
Auch bei den Liberalen ist die Strukturierung der Seite sehr gut. Es gibt im HTML ausgezeichnete Überschriften mit unterschiedlichen Ebenen. Und es gibt korrekt angewandte Orientierungspunkte (zum Beispiel für die Navigation, Banner, Hauptinhalt oder Artikel). Es gibt Links, mit denen ich direkt zur Navigation und zum Inhalt springen kann. Grafiken verfügen über Alternativtexte, die sich hin und wieder stärker auf die Grafik selbst beziehen sollten. Einzig zu kritisieren ist, dass es bei der Vergrößerung Schwierigkeiten gibt. Hier zerfällt das Layout. Etwas verwirrend ist, dass man beim Aufrufen von fdp.de derzeit auf die Kampagnenseite wahl.fdp.de umgeleitet wird. Das Wahlprogramm wird zum Download in einer unzugänglichen PDF-Datei angeboten, die über keine Tags verfügt. 

Fazit: Befriedigend




DIE LINKE
September 2013
Screenshot Die LINKE.-Webseite

Alle Inhalte verfügen über Überschriften. Es gibt Landmarks. Mit wenigen Kurztastenbefehlen könnte ich direkt zur Navigation gelangen. Grafiken verfügen über aussagekräftige Alternativ-Texte, einzige Ausnahme der Submit-Button der Suchfunktion. Große Schwachstelle: Im Internet Explorer ist die Seite nicht mit der Tastatur bedienbar. Mit anderen Browsern ist dies zwar möglich, allerdings funktioniert auch hier die Fokushervorhebung nur schlecht. Das Wahlprogramm wird in einer barrierefreien PDF-Version angeboten. Alternativ gibt es auch noch eine Version im DOC-Format, eine MP3-Fassung, eine Version in leichter und eine in Gebärdensprache. 

Fazit: Befriedigend 



Bündnis 90/Die Grünen
www.gruene.de
September 2013
Screenshot Bündnis 90/Die Grünen-Webseite

Momentan ist der Startseite eine Kampagnenseite „Warum Du uns wählen solltest“ vorgeschaltet. Diese ist hinsichtlich Barrierefreiheit eine Katastrophe. Sie besteht nur aus Grafiken und diese haben keinerlei Alternativ-Texte – für blinde Menschen ist sie nicht bedienbar. Zur eigentlichen Startseite: Wie bei den Linken ist auch die Grünen-Seite im Internet Explorer nicht mit der Tastatur bedienbar. Mit dem Mozilla Firefox ist dies hingegen möglich (inklusive guter Fokushervorhebung). Die Seite ist gut skalierbar. Auch die individuelle Anpassung der Farben funktioniert gut. Sprunglinks am Seitenanfang sind vorhanden, Überschriften sind zwar im HTML ausgezeichnet, allerdings ohne jede Struktur. Alternativtexte sind aussagekräftig, teilweise aber mit ausufernden Copyrightangaben versehen (Beispiel: „…© gruene.de (CC BY-NC 3.0)"). Das Programm im PDF-Format ist schlecht zugänglich. Es gibt aber Varianten in DAISY- und im MP3-Format, in leichter Sprache und als E-Book.

Fazit: ausreichend

Nachtrag: Bündnis 90/Die Grünen haben nach Veröffentlichung des Test die kritisierte Kampagnen-Startseite abgeschaltet. Ein Gewinn für die Barrierefreiheit. Danke! Eine Bewertung der Webseite würde nun besser ausfallen.


Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU)

September 2013
Screenshot CSU-Webseite
Die Startseite hat relativ wenige Inhalte. Die Alternativtexte sind aussagekräftig. Überschriften sind als solche ausgezeichnet, allerdings alle auf derselben Ebene, wodurch sich keine Struktur erschließt – dies mag aber auch den wenigen Inhalten geschuldet sein. Reine Textvergrößerung ist im Internet Explorer nicht möglich. Außerdem gibt es Darstellungsprobleme auch mit anderen Browsern. Wegen des Fehlens der Fokushervorhebung ist csu.de mit der Tastatur nur schlecht bedienbar. Das Wahlprogramm wird als Download im PDF-Format und als MP3 angeboten. Das PDF ist zwar zugänglich, aber schlecht strukturiert.

Fazit: ausreichend



Piratenpartei Deutschland (PIRATEN)

piratenpartei.de
Screenshot Piratenpartei-Webseite
Die Website der Piratenpartei verfügt über strukturierende Überschriften, eine größten Teils klare Überschriften-Hierarchie und über sinnvoll eingesetzte Orientierungspunkte. Auch Sprunglinks zum schnellen Erreichen von Navigation und Inhalt sind vorhanden. Grafiken verfügen über Alternativtexte, die allerdings nicht immer präzise sind. Die Seite ist für sehbehinderte Nutzer gut skalierbar und kann individuell angepasst werden. Das Wahlprogramm im PDF-Format ist zugänglich, aber nur schlecht strukturiert. Daneben gibt es ein Programm in leichter Sprache, eine Fassung als E-Book und Audiofassungen im DAISY-Format.

Fazit: Gut

Nachtrag: Wolfgang Wiese, Mitglied des Piraten Webteams hat in seinem Blog zum Test und die Bewertung der Piratenpartei gebloggt.

Zusammenfassung:


Die Startseiten von SPD und Piratenpartei fallen in Sachen Barrierefreiheit positiv auf. Hier wird deutlich, dass beim Erstellen der Seite wichtige Kriterien berücksichtigt wurden. FDP und Linke haben bereits wichtige Aspekte der Barrierefreiheit umgesetzt, müssten aber noch mehr tun, um ihre Seiten auch blinden und sehbehinderten Nutzern zugänglich zu machen. Noch stärker gilt Letzteres für die Seiten von CDU, CSU und Grünen.

Das Ergebnis könnte besser sein. Das Thema Barrierefreiheit ist immer noch nicht selbstverständlich. Während Behörden und staatliche Einrichtungen schon lange verpflichtet sind, ihre Webangebote zugänglich zu gestalten - siehe BITV 2.0 -, sind Parteien es nicht. Aufgrund ihrer exponierten Rolle in der politischen Willensbildung, sollten sie sich konsequent des Themas annehmen.

Hinweis:

Dieser Test vermittelt lediglich einen ersten Eindruck. Es wurden dabei nur die Startseiten berücksichtigt. Außerdem wurden nur einige wenige Aspekte rund um Barrierefreiheit überprüft. Ergänzend wurden die Download-Fassungen der Wahlprogramme berücksichtigt. Die vergebenen Noten stellen lediglich eine grobe Einordnung dar. Umfangreiche Tests bieten die BIK-Beratungsstellen an: www.bitvtest.de.


Der Autor

Foto von Heiko Kunert
Heiko Kunert (36) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und ist selbst blind. 
Er bloggt auf blindpr.com und im Inklusionsblog der Aktion Mensch.










Anmerkung Hamburger Wahlbeobachter
Auch dieser Blog ist noch nicht zu 100% barrierfrei gestaltet. Dies hat zum großen Teil mit der verwendeten Blogsoftware von blogger.com zu tun. Der Gastbeitrag ist aber Anlaß den Blog zukünftig noch stärker barrierefrei zu gestalten. Für die wertvollen Anmerkungen und Hinweise danke ich Heiko Kunert.  

Paralell zur Veröffentlichung im Blog wurden die Testergebnisse auch in DIE WELT, WELT kompakt und Berliner Morgenpost vom 11. September 2013 veröffentlicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen