Wahlbeobachter in den Medien

Mittwoch, 18. September 2013

Twitternde Bundestagsabgeordnete: Aktivität, Inhalte, Interaktion

Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Nuernbergk, Akademischer Rat am Institut für Kommunikations-wissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Das hier vorgestellte Projekt führt Dr. Christian Nuernbergk (@nuernbergk) am Lehrbereich von Prof. Dr. Christoph Neuberger gemeinsam mit Prof. Dr. Axel Bruns (@snurb_dot_info) an der QUT Brisbane durch. Die Inhaltsanalysen für Deutschland hat er zusammen mit seiner Kollegin Julia Neubarth (@julneu) an der LMU München im Rahmen des Seminars „Twitter und Politik“ konzipiert und ausgewertet. 


Weiß auf grün
Logo der Ludwig-Maximilians-Universität München
Social Media haben in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in der öffentlichen Kommunikation gespielt und gezeigt, vor welche Herausforderungen das Internet politische Akteure stellen kann. Im laufenden Bundestagswahlkampf bieten soziale Netzwerke, Weblogs und Video- plattformen gleich mehrere wichtige Kanäle zur Wähler- und Publikumsbeobachtung. Es eröffnen sich neue Foren für die politische Anschlusskommunikation, also Erweiterungen und Ergänzungen politisch-medialer Diskurse durch vernetzte Diskussionen. Politiker werden in diesem Umfeld direkt mit Feedback konfrontiert, können aber auch selbst aktiv an Diskussionen teilhaben. In einem laufenden Forschungsprojekt der Ludwig-Maximilians-Universität mit der Queensland University of Technology Brisbane wird derzeit am Beispiel Twitter untersucht, welches Nutzungs- und Interaktionsverhalten die Abgeordneten Deutschlands und Australiens aufweisen. Erste Ergebnisse für den Bundestag sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Erst Ergebnisse 


Weiß auf blau
Logo Queensland University of Technology
Im Allgemeinen lassen sich drei Folgen des erweiterten kommunikativen Zugangs durch das Internet festhalten, welches eine im Vergleich zur Öffentlichkeit der Massenmedien stärker partizipative und dezentrale Kommunikation ermöglicht: 
(1) Beteiligung von Laien sowie deren Vernetzung
(2) Disintermediation, d. h. Umgehung prüfender Instanzen und Ermöglichung eines direkten Kontakts zwischen nicht-publizistischen Anbietern und ihren Bezugsgruppen
(3) öffentlich sichtbare Anschlusskommunikation und Reaktionen des Publikums, die durch politische oder journalistische Akteure ausgelöst werden können. In den Konstellationen zwischen politischen Akteuren, Publikum und Journalismus ist vor diesem Hintergrund von einer Zunahme vielfältiger, sich kreuzender Kommunikationsbeziehungen auszugehen. Statt unidirektionaler und durch „Gatekeeper“ stärker kontrollierbarer Massenkommunikation zeichnen sich die Kommunikationsflüsse der Öffentlichkeit im Internet durch zunehmend wechselseitige und mehrstufige Netzwerke aus (vgl. Nuernbergk 2013: 148-225).

Welches Gewicht hat das Social Web bereits für die politische Kommunikation? Neben den theoretischen Potenzialen und prominenten Einzelbeispielen (Stuttgart21, #aufschrei etc.) wird in Diskussionen häufig auf die eher begrenzte direkte Reichweite verwiesen, die in Nutzungszahlen gemessen werden kann. Auch rückt das konkrete Verhalten der politischen Akteure selbst in den Blickpunkt: Hier stellt sich vor allem die Frage, ob es zur Interaktion mit interessierten Bürgern kommt und welche Themen im Netz wichtig sind. Diese Frage wird im Folgenden mit Blick auf Twitter untersucht. Twitter, das zeigen Zahlen zur Reichweite, ist kein unbedeutender Kanal: Die im September veröffentlichte ARD/ZDF-Onlinestudie 2013 beschreibt 7% der deutschen Internetnutzer zumindest als gelegentliche Twitter-Nutzer. Vor allem unter jüngeren Onlinern (bis 29 Jahre) liegen die Anteile allerdings höher und erreichen in der jüngsten Altersgruppe bis 19 Jahre sogar bereits 22%. Erwähnt werden sollte in diesem Kontext, dass im Social Web eine laufende Beobachtung durch journalistische Akteure stattfindet, die den dort stattfindenden Diskussionen über eine Berichterstattung zusätzliche Resonanz verleihen kann (vgl. Neuberger,vom Hofe, Nuernbergk 2011). 

Generell können Politiker auf Twitter verschiedene Strategien politischer Kommunikation verfolgen oder einzelne Zielsetzungen miteinander kombinieren: Sie können sachlich informieren, für ihre Politik werben und mobilisieren, den politischen Gegner beobachten und gegebenenfalls angreifen. Sie können aber auch aktiv an Diskussionen teilnehmen und eine starke Interaktionsorientierung aufweisen. Darüber hinaus ist eine eher entpolitisierende Form der persönlichen Inszenierung möglich, die private oder auch emotionale Botschaften in den Vordergrund rückt. Es gibt hier keine Gesamtstrategie und kein einfaches Patentrezept, was sich nicht zuletzt auch in einem differenzierten Nutzungsverhalten der Politiker ausdrückt.


Logo Twitter
Für die erste von unseren geplanten Teilstudien zu den deutschen Bundestagsabgeordneten (MdB) wurde bereits eine Inhalts- und Netzwerkanalyse von 4392 Tweets an der LMU durchgeführt. Die Auswahlgesamtheit wurde über ein seit Anfang 2013 kontinuierlich durchgeführtes Monitoring der Tweets deutscher Abgeordneter ermöglicht. Im Auswahl-Zeitraum vom 20.03.-26.03. 2013 beteiligten sich 208 Abgeordnete an den Diskussionen auf Twitter. Nur etwa ein Drittel der 620 MdBs veröffentlichte eigene Tweets oder Retweets in einem Zeitabschnitt, der eher als „Vorwahlkampf“ beschrieben werden kann und in dem Bundestagssitzungen stattfanden. Diese Zahl liegt damit geringer als aktuell zirkulierende Accountlisten erwarten lassen, die bereits über die Hälfte der Abgeordneten auf Twitter erfassen. Das Verhältnis männlicher und weiblicher Abgeordneter spiegelt sich auch in unseren Zahlen: Ein Drittel der Tweets stammt von Frauen (33%).

Was wird getwittert oder retweetet?


Die wichtigsten, nicht unbedingt überraschenden Ergebnisse: Es wird mehr über öffentliche, gesellschaftlich relevante Themen und Ereignisse (83%) getwittert als über private, dem eigenen Lebensbereich zugerechnete Anlässe und Themen.

Einen ausschließlich privaten Bezug weisen aber ca. 16% der Tweets auf. Es gibt allerdings Unterschiede nach Parteien, die sich zusammenfassend mit einer etwas stärkeren Neigung der Volksparteien zu privater Kommunikation beschreiben lassen. Einen konkreten Politikbezug weisen noch ca. 2.700 Tweets auf. Davon entfallen 16 Prozent auf das Feld der Wirtschafts-, Finanz, Arbeits- und Steuerpolitik. Aber auch andere Bereiche wie Jugend-, Frauen- und Familienpolitik (10 Prozent), Umwelt-, Energie- und Verbraucherschutz (8 Prozent), Innenpolitik (8 Prozent) und Telekommunikations-, Medien- und Netzpolitik (7 Prozent ) sind im betrachteten Zeitraum von Bedeutung. Die privaten Tweets setzen sich überwiegend aus privater Konversation (78 Prozent) ohne Bezug zu einem konkreten Lebensbereich zusammen. Tweets mit einem konkreten privaten Bezug lassen sich am häufigsten den Feldern Reisen, Sport und Ernährung/Kochen zuordnen. 

 

Wer sind die aktivsten Twitterer? 


An unserer Studie ist interessant, dass die zehn Abgeordneten mit den meisten Tweets im Zeitraum alleine 35% des gesamten Aufkommens beigesteuert haben. Top-Twitterer waren Johannes Kahrs (SPD), Volker Beck (Bündis 90/Die Grünen) und Dorothee Bär (CSU).

Welche Akteure werden in den Tweets angesprochen? Von den 3538 Tweets, die die Abgeordneten selbst zuerst schrieben, enthalten immerhin 51% @mentions, d. h. Erwähnungen anderer Nutzer auf Twitter. Diese entfallen am häufigsten auf politische Akteure (49%), aber immerhin zu einem Drittel auch auf Einzelpersonen, die sich als „einfache Bürger“ ohne politisches Mandat charakterisieren lassen (35%). Auch journalistische Akteure werden öfter mit @mentions angesprochen. Die Parteien verhalten sich insgesamt unterschiedlich, so viel soll an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden. Die Netzwerkdarstellung zeigt alle twitternden Abgeordneten, die im Untersuchungszeitraum andere Nutzer per @mention erwähnt haben. Es fällt auf, dass @mentions zu Kollegen in der eigenen Fraktion unter den Grünen und den Unionsabgeordneten eher üblich sind und seltener bei FDP und Linken vorkommen. Alles in allem bestehen viele Einzelbeziehungen zu Knoten, die nicht den einzelnen Parteien zugeordnet werden können. Paarbeziehungen dieser Art weisen jeweils ein niedriges Gewicht auf, d. h. dass sie oft nur in einem oder zumindest wenigen Tweets vorhanden waren. Unter den Politikern gibt es dagegen öfter auch stark gewichtete Beziehungen zwischen ausgewählten Nutzerpaaren.
  
Netzwerk der @Mentions/Erwähnungen anderer Nutzer in den Tweets/Retweets der MdBs (Darstellung: Farben nach Parteien [blau: Union; rot: SPD, grün: Grüne, gelb: FDP, lila: Linke, türkis: Accounts ohne Parteizuordnung], Beschriftung ab einem Outdegree =10).

Wie werden die erwähnten Nutzer bewertet? 


Hierzu lässt sich allgemein festhalten, dass ein negativer Kontext der Bewertung inhaltsanalytisch seltener ermittelt werden konnte als eine positive Bezugnahme. Jede @mention wurde erfasst. Auf diese Weise wurden über 2.400 Nutzererwähnungen in den originären MdB-Tweets gezählt, von denen ca. ein Fünftel auch eine Bewertung aufweist. Der Netzwerkgraph zeigt, dass bereits wenige Abgeordnete einen Großteil der Bewertungen anderer Nutzer einbringen. Zu nennen sind hier in erster Linie Johannes Kahrs (SPD) und Erika Steinbach (CDU), die offensichtlich vor Kritik in Konversationen nicht zurückschrecken.

@Mentions/Erwähnungen anderer Nutzeraccounts durch MdBs, die einen negativen Bewertungskontext aufweisen (Darstellung: Farben nach Parteien [blau: Union; rot: SPD, grün: Grüne, gelb: FDP, lila: Linke, weiß: Accounts ohne Parteizuordnung], Beschriftung ab einem Degree =2). 





Wie geht es weiter? 


Unsere Studie ist noch nicht erschöpfend ausgewertet. In den kommenden Monaten werden Vergleichsdaten zum Wahltermin folgen. Auch sollen die Daten im Ländervergleich betrachtet werden. 


Autor:  


Dr. Christian Nuernbergk (@nuernbergk), ist Akademischer Rat auf Zeit am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Netzwerköffentlichkeit und Social Media, Internetjournalismus und Politische Kommunikation. 

Das hier vorgestellte Projekt führt Dr. Christian Nuernbergk am Lehrbereich von Prof. Dr. Christoph Neuberger gemeinsam mit Prof. Dr. Axel Bruns (@snurb_dot_info) an der QUT Brisbane durch. Die Inhaltsanalysen für Deutschland hat er zusammen mit seiner Kollegin Julia Neubarth (@julneu) an der LMU München im Rahmen des Seminars „Twitter und Politik“ konzipiert und ausgewertet.



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