Wahlbeobachter in den Medien

Montag, 17. März 2014

„It´s complicated“ – Facebook und Co. als Quelle politischer Information

Dies ist ein Gastbeitrag der Politik- und Medienwissenschaftlerin Daniela Hohmann von der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch „Internet und Partizipation. Bottom-up oderTop-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet“ von Dr. Kathrin Voss.

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Es ist unumstritten, dass soziale Online-Netzwerke – gemessen an ihrer Nutzerzahl und Nutzungsintensität – seit einiger Zeit zu den beliebtesten Internetdiensten gehören. Facebook, das erst vor kurzem sein zehnjähriges Jubiläum feierte, stellt dabei mit 1,2 Milliarden Nutzern weltweit und 26 Millionen Usern (Stand: Juni 2013) allein in Deutschland den Primus seiner Klasse dar.

Vor dem Hintergrund sinkender Wahlbeteiligungsraten und einer seit jeher gesamtgesellschaftlich eher gedämpften Euphorie für politische Themen ist es nicht überraschend, dass politische Akteure auch hierzulande immer neue Wege ausloten, um einen Draht zur Bevölkerung herzustellen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Facebook und Co. aufgrund ihrer Beliebtheit in der Bevölkerung spätestens seit dem Wahljahr 2009 einen ernstzunehmenden Kanal politischer Kommunikation seitens der Politiker und Parteien darstellen. Dennoch herrscht nach wie vor große Unsicherheit darüber, ob und welche politischen Potentiale soziale Online-Netzwerke bergen. Einige dieser offenen Fragen möchte ich in diesem Beitrag adressieren: Welche Zielgruppen werden seitens der politischen Akteure in sozialen Online-Netzwerken erreicht? Können Facebook und Co. den Weg für politikferne Schichten zu politischen Themen ebnen? In welcher Hinsicht sind soziale Online-Netzwerke klassischen Websites als Tool der politischen Information vielleicht sogar überlegen? Und: Durch welche Mechanismen kommen die Nutzer dort mit politischen Inhalten in Kontakt?

Jung, „nerdig“ und gut gebildet war gestern


Regelmäßig erscheinende Nutzungsstatistiken wie die der ARD/ZDF-Online-Studie zeigen, dass neben jungen Leuten, die Facebook und andere soziale Online-Netzwerke als „early adopter“ groß gemacht haben, nunmehr auch ältere Personen dorthin strömen. So sind unter den deutschen Onlinern knapp 90 Prozent der 14 bis 19 Jährigen, 80 Prozent der 20 bis 29 Jährigen, 55 Prozent der 30 bis 39 Jährigen aber auch knapp 40 Prozent der 40 bis 49 Jährigen und knapp 20 Prozent der über 50 Jährigen in sozialen Online-Netzwerken vertreten (ARD/ZDF-Online-Studie 2013).

Weiße Schrift auf blauem Hintergrund
Logo Facebook
Auch fällt bei Facebook und Co. der Unterschied der Geschlechter nicht mehr ins Gewicht: Frauen und Männer nutzen die Dienste in gleichem Maße. Darüber hinaus stammen die Nutzer der sozialen Online-Netzwerke im Vergleich zu anderen Internetdiensten wie Websites oder Blogs aus nahezu allen Bildungsschichten.

Hinsichtlich der Nutzungsmotivation stehen die Kommunikation mit Freunden, Familienmitgliedern und Bekannten sowie die Unterhaltung an oberster Stelle. Politische Themen nehmen in den sozialen Online-Netzwerken also keineswegs vordergründige Positionen ein. Dementsprechend tummeln sich bei Facebook und Co. weder besonders politisch interessierte Personen noch besonders politisch Aktive. Die Netzwerke deshalb aber als politisch bedeutungslos abzutun, wäre dennoch verfrüht. So lässt sich seit Kurzem eine Verschiebung der Nutzungsmotive und Nutzungsweise bei den Usern der Plattformen feststellen. Dabei zeigt sich bei den Nutzern vor allem ein steigendes Bedürfnis nach qualitativen Informationsinhalten; Informationsmotive – man denke an die Ausrufung Zuckerbergs Facebooks zur persönlichen Zeitung zu machen – vermehren sich. Ein wachsender Teil der Nutzer möchte also im Netzwerk ausdrücklich mit Informationen – und zwar auch politischer Natur – in Kontakt kommen oder stellt diesen selbst her.

Diesem Bedürfnis entsprechen deshalb sowohl massenmediale Anbieter, die nunmehr nahezu vollständig in den Plattformen vertreten sind, als auch die politischen Akteure mit eigenen Präsenzen.

Politische Informationen in sozialen Online-Netzwerken sind „Pull“ und „Push“

 

By Ben Schumin (Own work) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons
Johnson Controls pull station
Von dem Bedürfnis nach politischen Inhalten zur aktiven Beschaffung dieser ist es auch in den sozialen Netzwerken kein weiter Weg. In Fachkreisen fallen alle Formen der aktiven Informationssuche unter die Rubrik der „Pull-Medienlogik“. Im Kontext sozialer Online-Netzwerke ist damit insbesondere das Suchen und Besuchen von Profilen politischer Akteure gemeint – ganz ähnlich der Nutzung von Partei- oder Kandidatenwebsites. Aus Nutzersicht ist dies mit einem vergleichsweise hohen Maß an Aufwand verbunden und kommt deshalb nur für die geringe Anzahl an Nutzern in Frage, die die dafür nötige intrinsische Motivation aufbringen, weil sie sich ohnehin für Politik interessieren oder bereits hochgradig involviert sind.

Noch etwas aufwendiger ist da vielleicht nur das Posten eigener politischer Beiträge, was zu der nötigen Eigenmotivation auch noch ein inhaltliches Mitteilungsbedürfnis erfordert. In der Quintessenz eignet sich der Pull-Mechanismus sozialer Online-Netzwerke also nicht dafür, Kontakt zu Zielgruppen herzustellen, die sich nicht für Politik interessieren. Er ist vielmehr Anlaufstelle derer, die sich ohnehin interessieren und weitere Vernetzung oder Informationen suchen.

Grundlegend anders gestaltet sich der Kontakt mit politischen Inhalten nach "Push-Medienlogik", was die Berührung mit politischen Inhalten meint ohne, dass der Nutzer diese gezielt anfordert oder gar aufsucht. Bei Facebook kommt dafür vor allem der Newsfeed in Betracht (andere Netzwerke verfügen über ähnliche Mechanismen). Als Bündel aller Aktivitäten des eigenen Netzwerkes kommt der User über den Newsfeed überraschend mit den Inhalten in Kontakt, die in seinem Freundes- und Bekanntenkreis generiert wurden – seien sie politischer Natur oder nicht. Es ist dieser Mechanismus, der die gewisse Überlegenheit sozialer Online-Netzwerke im Bereich der politischen Kommunikation im Vergleich zu klassischen Websites ausmacht, weil vom Nutzer eben keine Aktivität für den Empfang von Informationen vorausgesetzt wird. Der Aufwand seitens der User über diese Push-Logik mit politischen Beiträgen in Kontakt zu kommen, unterscheidet sich also erheblich zur ersten Variante – er tendiert gegen Null und stellt für die Masse der unpolitischen Nutzer sozialer Online-Netzwerke, wozu durchaus auch politikferne oder schwer zu erreichende Zielgruppen gehören, ein realistisches Einfallstor politischer Informationen dar. Etwas mehr Aufwand – wenngleich immer noch im niedrigschwelligen Bereich – erfordert das Liken oder Sharen von politischen Beiträgen als weitere Wege in sozialen Online-Netzwerken mit politischen Inhalten in Kontakt zu kommen.

Der Großteil der Nutzer sozialer Online-Netzwerke begegnet politischen Inhalten zufällig


Der Blick in die Empirie am Beispiel Facebook untermauert die Annahme, dass der dem Nutzer abverlangte Aufwand zur Informationsgewinnung erheblich damit in Zusammenhang steht, ob dieser bei Facebook mit politischen Inhalten in Kontakt kommt oder nicht.

Quelle: Eigene Berechnung. Eigene Darstellung. Die Datengrundlage stammt aus einer eigens durchgeführten internetbasierten Panelumfrage. Analysiert wurde hier die zehnte Welle des Panels, dessen Befragungszeitraum vom 27. März bis 27. November 2011 andauerte.

Dabei zeigt sich erst einmal, dass sich die Befragten häfltig in Facebook-Nutzer und Nicht-Nutzer aufteilen. Unter den Nutzern geben 25 Prozent der Studienteilnehmener an, bei Facbook niemals politische Beiträge zu sehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass 75 Prozent der Befragten ohne großes Zutun ihrer selbst schon einmal politischen Informationen von anderen bei Facebook begegnet sind. Davon berichten 35 Prozent der Befragten von „sehr wenigen“ und weitere 30 Prozent von „eher wenigen“ politischen Beiträgen in ihrem persönlichen Netzwerk bei Facebook. Nur eine kleine Minderheit von zirka zehn Prozent gibt an „eher“ oder gar „sehr viele“ politische Beiträge bei Facebook wahrgenommen zu haben.

Hinsichtlich des Postens eigener Beiträge gibt rund die Hälfte der Befragten an, nie politische Inhalte bei Facebook zu verbreiten. 21 Prozent posten „sehr wenige“ und 18 Prozent posten „eher wenige“ politische Beiträge. Auch hier gibt es nur eine kleine Minderheit von rund elf Prozent der befragten Nutzer, die angibt selbst "eher" oder "sehr viel" über Politik zu posten. Der letzte untersuchte Indikator, der ebenfalls Eigeninitiative erfordert, nämlich die Anzahl der politischen Profile, die den Nutzern "gefällt", bekräftigt das bis hierhin entstandene Bild. Über 80 Prozent der befragten Facebook-Nutzer gefällt kein einziges politisches Profil. Nur eine Minderheit folgt aus eigenem Antrieb politischen Profilen auf Facebook – und selbst dann bleiben es eher wenige. 

Facebook bietet seinen Nutzern also sowohl über Pull- als auch Push-Elemente Möglichkeiten der politischen Information. Dabei stellt sich der Mechanismus über die eigenen Kontakte mit politischen Inhalten in Berührung zu kommen als besonders vielversprechend dar, weil den unpolitischen Motivationslagen der meisten Facebook-Nutzer damit am ehesten entsprochen wird.

Eine Chance, die an Bedingungen geknüpft ist


Facebook und Co. öffnen also aus mehrerlei Hinsicht für politische Akteure einen Spalt zu potentiellen Wählern. In sozialen Online-Netzwerken tummelt sich nicht nur eine Zielgruppe, die für Politiker und Massenmedien zunehmend schwerer zu erreichen ist. Die Push-Logik, die dem Newsfeed bei Facebook (und vergleichbaren Einrichtungen in anderen Netzwerken) inhärent ist, sorgt zudem dafür, dass sich diese Personen den dort vorkommenden politischen Inhalten weniger stark entziehen können als dies zum Beispiel bei politischen Websites der Fall ist.

Damit der hier beschriebene Push-Mechanismus allerdings zum Einfallstor politischer Information wird, müssen  politische Inhalte als mitteilenswert erachtet werden, also durch liken und sharen überhaupt in die einzelnen Netzwerke hineingetragen werden. Dies ist keine triviale Anforderung – und damit eine Herausforderung für die Politik 2.0.  


In voller Länge – und mit tiefergehenden Analysen – ist dieser Beitrag vor kurzem im Buch „Internet und Partizipation. Bottom-up oderTop-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet“ von Kathrin Voss erschienen.  

Hohmann, Daniela/Faas, Thorsten: Politik – gefällt mir?! Soziale Online-Netzwerke als Quelle politischer Information, in: Kathrin Voss (Hrsg.): Internet und Partizipation. Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet, Wiesbaden: Springer 2014, S. 247-261.

Autorin:

Daniela Hohmann ist seit November 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Empirische Politikforschung an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. Ihre Forschungsinteressen umfassen Wahlkämpfe und Wahlkampfkommunikation mit Schwerpunkt auf modernen Kommunikationskanälen wie Sozialen Online-Netzwerken.
Auf Twitter: @DanielaHohmann 






Fotonachweis: Pull Station by Ben Schumin (Own work) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.

2 Kommentare:

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