Donnerstag, 6. März 2014

Social Media verzerrt den politischen Wettbewerb

Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. In meiner sechsten Kolumne (Seite 54/55) in der Ausgabe Februar/März 2014 mache ich mir Gedanken über die Veränderung des politisches Wettbewerbes durch Social Media.

Hier das Blog-Crossposting dieser Kolumne.

Soziale Medien beleben die Demokratie - das hofften zumindest viele. Politiker, Wissenschaftler, Journalisten – sie alle feierten Mitmach-Portale wie LiquidFeedback, Facebook, Twitter und Co als neue demokratische Werkzeuge, mit denen sich endlich wieder mehr Bürger in die Politik einbringen würden.

Startseite Petitionsplattform change.org
Und in der Tat stimmen Nachrichten aus der Wissenschaft hoffnungsfroh: So fanden Wissenschaftler der Harvard Universität kürzlich heraus, dass politische Diskussionen durch digitale Kommunikationstechnologien an Reichweite gewonnen haben und zudem durchlässiger geworden sind. Daraus ergeben sich demnach wiederum neue Anreize für gesellschaftliches Engagement. Auch eine Studie der Uni Hamburg bestätigt: Junge und politikferne Schichten partizipieren wesentlich stärker online am politischen Geschehen als auf dem klassischen Offline-Weg. Online-Petitionen sind bei Jugendlichen die beliebteste Form der politischen Beteiligung.

Immer mehr Menschen informieren sich zudem über Online-Newsportale, Wikipedia und Facebook über politische Inhalte. Das ist sehr erfreulich. Auf der anderen Seite birgt diese Entwicklung Gefahren für den politischen Wettbewerb. Darüber aber spricht bislang kaum jemand. Eine Diskussion darüber fehlt bisher gänzlich.
    
Will ein Politiker Social Media erfolgreich nutzen, braucht er eine möglichst aktive, gut-vernetzte, große und mobilisierbare Community. Die fällt aber nicht vom Himmel. Vielmehr dauert es jahrelang diese aufzubauen, kontinuierlich zu betreuen und zu pflegen. Nur dann können Politiker in der heißen Phase des Wahlkampfes darauf erfolgreich zurückgreifen.

Screenshot
Typische Facebookseite mit kleiner Community MdB Hiltrud Lotze
Doch die wenigsten Herausforderer von etablierten Politikern sind Vollzeitpolitiker, die in den Jahren vor der Wahl kontinuierlich Communities organisiert haben. Viele Bundestagskandidaten wussten erst wenige Monate vor dem Wahltag, dass sie sicher um ein Mandat kämpfen werden. In dieser kurzen Zeit haben sie aber keine Chance, eine schlagkräftige Fan- und Followerbasis aufzubauen. Das zeigen nicht zuletzt die vielen kurz vor der Wahl erstellten Facebook-Fanseiten: Sie alle haben nur eine geringe Fananzahl, Interaktion findet kaum statt.  

Im vergangenen Jahr war der Effekt von Social Media noch nicht in jedem Wahlkreis entscheidend. Das wird sich spätestens 2017 ändern. Soziale Netzwerke werden dann noch stärker als heute die Wahlentscheidung und das Informationsverhalten beeinflussen.

Klar, unbekannte Kandidaten hatten es schon immer schwer gegen den Platzhirsch. Hier wirkte allerdings bislang die Lokalzeitung, das Radio oder das Fernsehen ausgleichend. Klassische Medien nivellieren die fehlende Bekanntheit durch eine breite Berichterstattung. Dieses kompensierende Moment fehlt in den sozialen Medien. Hinzu kommt das insbesondere die Lokalzeitung aber auch klassisches Fernsehen und Radio immer weniger als Informationsquelle von  nachwachsenden Wählergruppen genutzt werden. Ganz unabhängig vom anhaltenden Zeitungssterben. 

Wikipedia, Google und fehlende Ressourcen für digitale Werbung verstärken diese Verzerrung noch. Wikipedia versteht sich als Enzyklopädie des Relevanten. Kandidaten, die vorher kein offizielles Amt oder eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung hatten, haben keine Chance abgebildet zu werden. Mittlerweile wird die Seite aber viel häufiger aufgerufen als die Webseiten von Politikern und Parteien. Das führt zu einer unfairen Nichtbeachtung von politischen Neu- und Quereinsteigern.

Screenshot
Startseite Google AdWords
Auch der Google-Algorithmus unterstützt eher kontinuierlich und länger aktive Webseiten als neu erstellte und wenig verlinkte Webangebote, die nur wenige Wochen alt sind. Und: Wer dafür bezahlt, wird bei Google und Facebook prominenter dargestellt. Aber gerade unbekannte Politiker, die erst neu im Geschäft sind, verfügen meist über weniger Geld als die Wahlkreisinhaber. 


Für potentielle Kandidaten heißt das: Fangen Sie schon lange vor der ersten möglichen Kandidatur an, digital politisch aktiv zu werden. Wer digital sichtbar ist und wer Parteifreunde hat, die ihn auch im Netz unterstützen, der hat es oft schon bei den innerparteilichen Machtspielen und der Kandidatenaufstellung leichter. Das zeigen erste Beispiele.  

Was bedeutet das für die Demokratie? 


Im politischen Prozess wird es immer weniger klassische Quereinsteiger geben, und die digitalen Strukturen werden noch stärker als bisher etablierte Politiker begünstigen.

Wir sollten uns diese Verzerrung jetzt bewusst machen und mit der dringend notwendigen Diskussion über die Folgen für die demokratische Kultur beginnen!   

Die Originalkolumne ist unter dem Titel "Chancenlos im Netz" erschienen. Sie finden Sie hier.  


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