Wahlbeobachter in den Medien

Mittwoch, 25. Juni 2014

Social Media im Bundestag: Gefällt mir nicht

Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. In meiner achten Kolumne  in der Ausgabe Juni/Juli 2014 habe ich mir die Bundestagsabgeordneten ohne Social-Media-Aktivitäten einmal genauer angeschaut.

Hier das Blog-Crossposting dieser Kolumne.

Noch nie war so viel Social Media im Deutschen Bundestag, wie in der 18. Legislaturperiode: Mehr als 95 Prozent der Abgeordneten nutzen mindestens ein soziales Netzwerk für ihren Dialog mit dem Bürger. Unter den 631 Parlamentariern gibt es aber 29, die weder Facebook, Twitter, Google+ oder YouTube nutzen.

Das wirkt heute fast schon anachronistisch. Mich interessiert: Wer nutzt die Netzwerke nicht und warum?

 

Die Nichtnutzer


Außer bei den Grünen, die kleinste Bundestagsfraktion, gibt es in jeder Fraktion Nichtnutzer. Bei den Linken einen, bei der SPD fünf und in der Unionsfraktion 23. Damit ist die Gruppe der Nichtnutzer mit 7,4 Prozent bei der CDU/CSU am größten, gefolgt vom Koalitionspartner SPD (2,6 Prozent) und der Linksfraktion (1,5 Prozent). Betrachtet man den gesamten Bundestag, gibt es aktuell 4,6 Prozent Nichtnutzer.

Durchschnitt: männlich, 57 Jahre alt, Michael Groß (SPD)
Das Durchschnittsalter der Web 2.0-Abstinenzler liegt bei 57,5 Jahren. Damit sind die Nichtnutzer deutlicher älter als der Bundestagsschnitt, der bei der Wahl im September 2013 bei knapp 50 Jahren lag. Nur einer ist jünger als 40, nur einer jünger als 50 Jahre. Prozentual entscheiden sich mehr Männer gegen Social Media: 69 Prozent sind männlich, im Bundestag liegt der Männeranteil bei derzeit 63 Prozent.  

Viele der Nichtnutzer sind zudem „alte Hasen“ im Parlament: Durchschnittlich sind sie seit mindestens vier Wahlperioden Mitglied des Bundestages. Interessanterweise befinden sich nur drei Bundestagsneulinge unter den Nichtnutzern; somit nutzen nur 1,3 Prozent der 231 neuen Mitglieder keine sozialen Medien. Für Neuparlamentarier scheinen diese Kommunikationskanäle heute zum Standard zu gehören. 

Webseite Minister Dr. Thomas de Maizière (CDU), MdB
Ein Blick auf die Funktionen der Abgeordneten zeigt außerdem, dass überdurchschnittlich viele wichtige Politiker abstinent sind: So gehören zur Gruppe zwei Bundesminister, zwei Staatsekretäre, eine Staatsministerin, mehrere Ex-Minister und Staatsekretäre, Fraktions- und Gruppenvorsitzende sowie Ausschussvorsitzende.



Die meisten Verweigerer kommen aus den Flächenländern NRW (neun), Bayern und Baden-Württemberg (jeweils fünf). In sechs (meist kleineren) Bundesländern nutzen alle Bundestagsabgeordneten Social Media. 

Demnach lässt sich der durchschnittliche Nichtnutzer in folgenden Stichworten zusammenfassen: älter, männlich, ländlicher Wahlkreis, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, Inhaber eines wichtigen politischen Amtes und seit mehreren Legislaturperioden Mitglied des Deutschen Bundestages. 

Die Motive 


Für die Nichtnutzung nannten mir die Abgeordneten drei Hauptmotive:

Kein Zeit: Für die authentische und persönliche Nutzung der Netzwerke fehlt vielen Politikern schlicht die Zeit. Aus diesem Grund haben sie sich gegen diese Kanäle entschieden. Das ist gerade bei Spitzenpolitikern nachvollziehbar und begrüßenswert – gerade mit Blick auf die vielen schlecht gepflegten Profile unter den Abgeordneten. 

Datenschutz: Einige der Nichtnutzer führen Daten- und Verbraucherschutzaspekte für ihre Entscheidung an. Ich finde es konsequent, die Abstinenz mit der eigenen politischen Position gegenüber dem Geschäftsmodell der Netzwerke zu begründen, zudem unterstreichen Politiker so die eigene Position mit konkretem politischem Handeln.   

Dialogkultur: Bei einzelnen Abgeordneten zeigten sich allerdings auch starke Kommunikationsdefizite: Sie wollten über ihr Kommunikationsverhalten keine Auskunft geben und lehnten ein Interview oder Statement zu diesem Thema ab – oder antworteten gar nicht erst auf meine Anfrage. Gelebter Dialog sieht anders aus.   

Twitter-Fakeaccount Ronald Pofalla (CDU)
Im Gegensatz zu den ersten beiden Gründen kann ich dieses Verhalten nicht nachvollziehen. Zur Politik gehört auch, Politik zu vermitteln. Das ist heute sogar fast genauso wichtig, wie Politik zu gestalten. Denn Politik ist nichts wert, wenn Politiker nicht bereit sind, mit Bürgern zu kommunizieren.

Besonders skurril ist dabei: Bei vielen Dialogverweigerern gibt es eine große Nachfrage im Web 2.0. So gefällt mehr als 7000 Menschen der von Facebook erstellte Standard-Eintrag von Wolfgang Bosbach (CDU), Ronald Pofalla (CDU) besitzt – ungewollt – mehrere aktive inoffizielle Twitter-Accounts, unzählige Fragen bei abgeordnetenwatch.de warten auf eine Antwort.   








Fazit


Politiker müssen Social Media nicht nutzen. Es gibt gute und nachvollziehbare Gründe, die im Einzelfall dagegen sprechen. Kein guter Grund ist es allerdings, wenn ein Politiker es für irrelevant hält, mit Bürgern zu kommunizieren.

Ich habe überhaupt kein Verständnis für Politiker, die die Kommunikation mit dem Volk vernachlässigen und z.B. auch acht Monate nach der Wahl noch immer keine eigene Webseite besitzen.  


Die Kolumne gibt es in einer gekürzten und inhaltlich etwas veränderten Form auch auf den Webseiten von "politik & kommunikation". Hier. 

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