Wahlbeobachter in den Medien

Mittwoch, 16. Juli 2014

Erhöhen Social Media die Sichtbarkeit im Wahlkampf?

Dies ist ein Gastbeitrag von Elisabeth Günther, Emese Domahidi und Prof. Thorsten Quandt vom Institut für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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Insbesondere im Wahlkampf wollen und müssen Politiker gesehen werden – von mehr Aufmerksamkeit erhoffen sie sich einen Wettbewerbsvorteil bei der anstehenden Wahl. Die wichtigste Plattform bieten ihnen dafür die Massenmedien (Jandura & Reinemann, 2013).

Um sich in der die Berichterstattung zu positionieren, betreiben die Parteien und ihre Wahlkampfteams ein strategisches Themenmanagement. Die Nachrichtenagenda bildet damit den thematischen Rahmen, über den PolitikerInnen einen Zugang zur medialen Bühne erlangen. Darüber hinaus steckt sie den Kontext ab, innerhalb dessen die WählerInnen die Kompetenzen der KandidatInnen und Parteien beurteilen (vgl. Brettschneider 2005) – für die Grünen wirkt es sich beispielsweise positiv aus, wenn umweltpolitische Fragen in der öffentlichen Wahrnehmung weit oben auf der Agenda stehen, die SPD kann dagegen von sozialen Themen profitieren.

In unserer Studie untersuchen wir daher die mediale Sichtbarkeit der 4.451 WahlbewerberInnen in den Wochen vor der Bundestagswahl 2013 (26.08.-22.09.2013) in Verbindung mit den Themen der Berichterstattung. Dafür vergleichen wir mittels einer automatische Inhalts- und Themenanalyse die Online-Politikberichterstattung von 33 Tageszeitungen (17.255 Artikel) mit der Berichterstattung in 28 deutschen General-Interest Blogs (2.195 Beiträge).

Wenige erhalten viel, viele erhalten wenig Aufmerksamkeit


Unsere Auswertung zeigt, dass in einem guten Drittel der Nachrichtenartikel eine/r der KandidatInnen genannt wurde. Dabei werden wenige PolitikerInnen sehr häufig genannt, sehr viele dagegen kaum bis überhaupt nicht erwähnt. Deutlich sichtbar ist der sogenannte Amtsbonus, der offenbar zu einem Aufmerksamkeitsvorteil für die Kanzlerin, die SpitzenkandidatInnen der Parteien und die Mitglieder des Kabinetts führt.

Quelle: IFK, WWU Münster
Abb 1. Mediale Sichtbarkeit von WahlbewerberInnen in Nachrichtenartikeln und Blogbeiträgen 
Für die Blogs ergibt sich im selben Zeitraum ein etwas anderes Bild: Einige Politiker aus der zweiten Riege sind weit oben platziert. In den eher meinungsorientierten Blogs liegt der Fokus offenbar eher auf die Nachbesprechung der tagesaktuellen Geschehnisse, wodurch kontrovers diskutierte Personen wie AfD-Chef Bernd Lucke mehr Aufmerksamkeit erhalten. Darüber hinaus sorgen einige regional ausgerichtete Blogs in der Stichprobe für eine erhöhte Sichtbarkeit von PolitikerInnen mit regionaler Prominenz.

Aktive Abgeordnete = sichtbare Abgeordnete?


Unsere Analyse[i] zeigt, dass die Mitglieder des Kabinetts bzw. Bundestags von einer verstärkten Sichtbarkeit in den Nachrichtenmedien profitieren können. Bei Alter und Geschlecht der KandidatInnen zeigt sich ebenfalls ein signifikanter Zusammenhang, dieser fällt allerdings deutlich hinter dem Amt zurück. Überraschenderweise scheinen sich in Hinblick auf die Aufmerksamkeit der Nachrichtenmedien weder die Aktivitäten auf Twitter, Facebook und Co [ii], noch die sichtbaren Handlungen im Bundestag bezahlt zu machen.

Für die Blogs konnten wir keine Effekte feststellen – unser Modell, das sich am Forschungsstand orientiert, ist offensichtlich nicht zur Beschreibung der Daten geeignet. Somit zeigt sich hier einmal mehr, dass Weblogs nach eigenen Prinzipien funktionieren und andere Variablen zur Beschreibung erfordern als traditionelle Medien.

Nachrichten berichten über den Wahlkampf, Blogs betonen die Themen


Bisherige Studien zur Präsenz von PolitikerInnen in der Politikberichterstattung (vgl. Kepplinger und Roessing 2005; Krüger et al. 2005; Krüger 2010; Jandura 2011) stellten ebenfalls eine höhere mediale Sichtbarkeit von Regierungsmitgliedern fest und führten diese auf Auftritte im Rahmen von Regierungstätigkeiten zurück. 

Die Ergebnisse unserer automatischen Themenanalyse weisen jedoch darauf hin, dass die mediale Sichtbarkeit der WahlbewerberInnen in fast allen Fällen überwiegend aus Berichten zur Bundestagswahl hervorgeht. Allein Außenminister Guido Westerwelle und Innenminister Hans-Peter Friedrich erzielen in anderen Themenbereichen der Politikberichterstattung eine höhere Medienpräsenz.

Eine alternative Erklärung für den Amtsbonus bietet der Matthäus-Effekt (vgl. Merton 1968): Anerkennung – hier in Form medialer Aufmerksamkeit – ist demnach nicht vornehmlich durch aktuelle Leistungen zu erklären, sondern wird umso wahrscheinlicher, je prominenter eine Person bereits im Vorfeld ist.

Abb 2. Mediale Sichtbarkeit der WahlwerberInnen innerhalb der Themen

In den Blogs bietet sich erneut ein anderes Bild: Im Gegensatz zu den Nachrichtenseiten kommen hier deutlich mehr Nennungen aus den sonstigen Themen, während der Wahlkampf als Ereignis in den Hintergrund rückt.[iii]

Fazit


Wenige PolitikerInnen erhalten viel Aufmerksamkeit, viele werden von den Medien kaum oder überhaupt nicht beachtet – in diesem Punkt decken sich unsere Ergebnisse mit dem Forschungsstand. In Verbindung mit der automatisierten Themenanalyse deutet sich allerdings für die Nachrichtenseiten an, dass der Amtsbonus für Mitglieder des Bundestags und -kabinetts nicht durch Amtshandlungen in anderen Kontexten zustande kommt, sondern innerhalb des Themas Wahlkampf besteht. Überraschend ist außerdem, dass die Social Media Aktivitäten der WahlbewerberInnen offenbar kaum Einfluss auf ihre Sichtbarkeit in den Online-Nachrichten hat. Weitere Untersuchungen sollten diesen Punkt genauer unter die Lupe nehmen und erkunden, welche (Online-) Aktivitäten mit der Berichterstattung in Zusammenhang stehen.


Das Forschungsprojekt zur medialen Sichtbarkeit deutscher PolitikerInnen wurde in ähnlicher Form auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) präsentiert.

Autoren

Elisabeth Günther
Das Forschungsprojekt zur medialen Sichtbarkeit deutscher PolitikerInnen ist ein Gemeinschaftsprojekt von Elisabeth Günther, Emese Domahidi und Thorsten Quandt am Institut für Kommunikationswissenschaft (IfK) der WWU Münster. 

Elisabeth Günther  promoviert am IfK zum Thema innovativer methodischer Zugänge in der Journalismusforschung. 





Emese Domahidi
Emese Domahidi, ist ebenfalls Mitarbeiterin am IfK. Ihre Forschungsinteressen betreffen neben den Online-Aktivitäten deutscher PolitikerInnen die Auswirkungen von Online-Medien auf die Soziabilität ihrer Nutzer.









Prof. Thorsten Quandt
Thorsten Quandt ist Professor und stellvertretender Geschäftsführender
Direktor des IfK. Unter anderem leitet er Forschungsprojekte zur Diskursanalyse in Social Media, der real- und spielweltlichen Erfahrung von Online-Gamern und zum Thema Cyber-Mobbing an deutschen Schulen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur



Brettschneider, F. (2005). Bundestagswahlkampf und Medienberichterstattung. Aus Politik
und Zeitgeschehen, 51-52, 19-26.

Jandura, O. & Reinemann, C. (2013) Hintergrund: Spätentscheider und Medienwirkungen. In
Reinemann, C., Maurer, M., Zerback, Th., Jandura, O. (Hrsg.) Die Spätentscheider.
Medieneinflüsse auf kurzfristige Wahlentscheidungen. (S. 13-34) Springer VS.

Jandura, O. (2011). Publizistische Chancengleichheit in der Wahlkampfberichterstattung?
Eine Untersuchung zur medialen Repräsentation der im Bundestag vertretenen Parteien.
Publizistik, 56, 181-197.

Kepplinger, H. M. & Roessing, T. (2005). Präsenzen und Tendenzen: Politische Rolle und
Position als Ursachen der Fernsehberichterstattung. In E. Noelle-Neumann, W. Donsbach &
H. M. Kepplinger (Hrsg.), Wählerstimmen in der Mediendemokratie: Analysen auf Basis des
Bundestagswahlkampfs 2002 (S. 91-103). Freiburg i. Br.: Verlag Karl Alber.

Krüger, U. M., Müller-Sachse, K. H. & Zapf-Schramm, T. (2005). Thematisierung der
Bundestagswahl 2005 im öffentlich rechtlichen und privaten Fernsehen. Media Perspektiven,
12, 598-612.

Krüger, U. M. (2010). Info Monitor 2009: Fernsehnachrichten bei ARD, ZDF, RTL und Sat1.
Themen, Ereignisse und Akteure. Media Perspektiven, 2, 50-72.

Merton, R. K. (1968). The Matthew Effect in Science. Science, 159(3810), 56-63.
.


[i] Die Daten wurden mittels einer Poisson Regression ausgewertet.
[ii] Um mögliche Erklärungsfaktoren für die großen Unterschiede in der medialen Sichtbarkeit der WahlbewerberInnen zu identifizieren, greifen wir im Folgenden auf zwei externe Datenquellen zurück: Über den Pluragraph-Score nähern wir die Social Media-Aktivität der PolitikerInnen an, zudem bietet die Zeit Abgeordnetenbilanz einen Indikator für die öffentlich sichtbare Aktivität der Abgeordneten im Bundestag.
[iii] Durch die thematisch breite Ausrichtung sind die General Interest-Blogs nur bedingt mit der Politikberichterstattung der Nachrichtenseiten vergleichbar; für Folgestudien bietet es sich an, Blogs mit politischem Fokus auszuwählen, um die hier angedeuteten Tendenzen zu bestätigen.

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