Wahlbeobachter in den Medien

Dienstag, 22. Juli 2014

Onlinemarketing und Politik - einfach irrelevant oder noch unverstanden?

Dies ist ein Gastbeitrag vom Sven-Olaf Peeck, Gründer und Geschäftsführer der Hamburger Agentur crowdmedia. Er berät Unternehmen und öffentliche Einrichtungen rund um das Thema Online-Marketing.  

Logo crowdmedia GmbH
Im Zuge der Bundestagswahl 2013 habe ich mich bereits mit dem Thema Onlinemarketing und Politik beschäftigt: Sowohl in einer Umfrage an die Abgeordneten des Bundestags als auch mit ganz konkreten To Dos für den lokalen Eimsbütteler SPD-Kandidaten Nils Annen.

Die Potentiale liegen für mich als Onliner auf der Hand, dennoch wird zu wenig gemacht. Ein Effekt, den wir im täglichen Umgang mit Seminarteilnehmern und Kunden aus der Wirtschaft auch kennen. Man (über-) lebt mit dem Mix an Marketing- und Kommunikationskanälen, die bereits in der Vergangenheit treue Dienste leisteten. TV und Plakat, das sind die alten Haudegen, die auch heute noch die medialen Eckpfeiler im Wahlkampf darstellen. Ich wage zu behaupten, zusammen mit „Rosen und Kugelschreibern in der Fußgängerzone verteilen“, bilden sie 90% des Marketing-Mixder deutschen Politiker. Muss das so sein? Wie lange kann das noch so bleiben wenn da draußen digitale Transformation stattfindet und auch von Entscheidern wahrgenommen wird?

Wie viele Firmen stellen sich vielleicht auch Politiker und Parteien die Frage, ob es denn überhaupt  sinnvoll ist sich mit den Online-Medien zu beschäftigen. Websites sind allerorten Standard, keine Frage. Aber das „Punkten über Inhalte“ und aktiver Austausch mit Stakeholdern (nicht nur den Wähler-Kunden), ist die Ausnahme und keinesfalls die Regel.

Wir Onliner fassen diese Ansätze aktuell gerne unter dem Begriff „Content Marketing
Dazu gehört im Kern die konsequente Nutzerorientierung die sich äußert durch:

1.     das Interesse am Austausch mit dem Kunden (aka Wähler)
2.     das aktive Zuhören und Eingehen auf die Fragen der Nutzer
3.     die Bereitstellung relevanter Inhalte (Information, aber auch Unterhaltung)
4.     die aktive Verbreitung dieser Inhalte über eigene Kanäle, bezahlte Werbung oder soziale Medien


Schockstarre Politiker wie Rehkitze im Scheinwerferlicht


Wenn ich mir dieser Tage die Diskussion um das Video der Grünen Europapolitiker anschaue, dann kann ich verstehen, warum wenig Enthusiasmus für diese Themen herrscht. Patrick Gensing von publikative.org fasst es schön zusammen: Eigentlich kann man es nur falsch machen und kassiert dann von den Medien und Social-Media- Experten hämisches Feedback. Und von den Social-Media-Experten gibt es mehr als Bundestrainer während der WM.





Warum also etwas machen, wenn man eigentlich nur verlieren kann? Logisch, dass viele es lieber ignorieren. Oder aus meiner Sicht noch schlimmer: „Statt mit menschlicher Stimme zu sprechen, sich geduckt wie ein Aal im Wind ohne Reibungsfläche durch das Social Web zu posten.“ So wie unser amtierender Erster Bürgermeister in Hamburg, Olaf Scholz  (SPD).

Wenn nicht authentisch, dann lieber sein lassen: Hamburgs blutleerer Bürgermeister langweilt auf Twitter


Twitter-Profil Olaf Scholz (SPD)
Wo soziale Medien nur als Hygiene-Faktor verstanden werden, wird Müll rauskommen. Bei uns intern gilt Olaf Scholz als negativ Benchmark. Seine „Subjekt-Prädikat-Objekt in dritter Person“-Tweets sind blutleerer als die gesammelte Twilight-Serie. Keine Persönlichkeit, keine Kanten, kein Feuer, keine Leidenschaft. Kurz: Marketing-Sprech wird nicht besser, wenn man es auf 140 Zeichen kürzt. Wer sich davon im Kopf nicht trennen kann oder bereit ist es zu versuchen, der sollte es besser ganz sein lassen.







Fehlt Fehlerkultur und Mut zur Lücke?


Soziale Medien bieten die Chance Leute zu erreichen, die sonst eigentlich NICHT zu meiner Klientel zählen. Wenn man denn den Mut zur Diskussion hat und bereit ist Reibungsfläche zu bieten. Aber die Komfortzone verlassen, dass ist Parteien und ihren Vertretern scheinbar noch genauso fremd wie Firmen, die in alten Organisations-Silos verhaftet sind.

Wo online der Mut fehlt, da wurde andererseits zur Europawahl so manches Schmankerl auf die Plakatwände dieser Republik gedruckt. Es gibt also diesen „Macher“-Gedanken. Irgendwas zwischen „das meinen die nicht ernst“ bis hinzu „eigentlich ganz süß und hemdsärmelig“ sind die Ergebnisse. Warum ist dieser Geist nicht bei sozialen Medien da?


Die positiven Alternativen: hemdsärmelig aber anpackend


Ob er jetzt politisch auf meiner Linie liegt oder nicht, Bodo Ramelow ist einer von denen, die mir auffallen. Ein bunter Mix, nicht nur Eigenes sondern Informationen, die zu seinem Thema passen, Informationen und Meinungen. Deutlich weniger PR-Sprech als der Kollege Scholz.

Tweets von Dr. Peter Tauber (CDU)
Auch der CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist für mich ein gutes Beispiel. Sein Newsletter BriefTauber (ein PDF – wie ich vermute - in Word erstellt und dann als Anhang verschickt) ist für mich als Vertreter der reinen Onlinemarketing Lehre vorsichtig formuliert sehr „hands on“. Aber was soll’s. Authentisch und statt hochglänzend der Blick hinter die Kulissen. Einfach mal machen. Und reden wie es sich gerade mal richtig anfühlt. Da fallen dann auch Sätze wie „das ist Fußball, Junge!“.






Die ungehobenen Potentiale: ein Blick auf den Kanalmix


Ihre Potentiale werden noch lange nicht optimal genutzt. Vermutlich ein Innovationsdilemma, da noch Plakate, TV-Spots und Streuartikel die großen Wahlen gewinnen. Eine Frage der Zeit bis der digitale Wandel auch hier eingesetzt hat. 

Wie würde sich ein reiner Onliner dem Thema nähern?

Gerade im Mix sind Online-Kanäle extrem effizient. Kampagnen können in ihrer Reichweite unterstützt werden, Wähler aktiv eingebunden werden, E-Mailadressen generiert werden um Besucher zu binden und wieder anzusprechen. Hier einige Gedanken:

Theorie I: Web Monitoring


Zunächst kann ich Online-Medien nutzen um strukturiert zuzuhören, Informationen zu sammeln wer, über was und wie oft spricht und aktiv in Gespräche einzusteigen.

Praxis I: Reinhören und zuhören


Rudimentäres Monitoring über Google Alerts oder die Twitter-Suche könnte so aussehen, dass ich zentrale Begriffe wie meinen eigenen Namen suche. Am Beispiel Olaf Scholz:

Screenshot
Twitter-Suche nach Olaf Scholz, Nähe Hamburg
Weil beim Monitoring (gerade wenn händisch umgesetzt und ausgewertet) weniger immer mehr ist, habe ich bewusst nur Tweets aus Hamburg betrachtet.

Auf den ersten Blick sehe ich also eine Presseveröffentlichung bei ZEIT Online zum Bahnhofsprojekt, ein Lob zur positiven Entwicklung der Integration durch einen Vertreter der alevitischen Gemeinde und Fragen von Bürgern, von denen ich einen recht schnell als Politik-Blogger identifizieren könnte.

Mehrere Chancen ins Gespräch einzusteigen mit relevanten Multiplikatoren. Dazu auch eine Basis auf der ich überlegen kann, ob und in welche Themen ich aktiv einsteigen werde. Ist Integration oder der Bahnhof in Altona ein relevantes Thema? Kann ich mit dem Thema Internetinsel im Rahmen meiner Bemühungen um den Standort Hamburg punkten bzw. muss ich meine Meinung äußern?

Aus relevanten Multiplikatoren oder Menschen die zu einem Thema schreiben kann ich eine Liste in Twitter erstellen, um schnell einen Überblick über die Lage zu erhalten. Die Twitterliste „Internetinsel“ oder eine Suche nach dem Hashtag #internetinsel könnte ein nächster Schritt sein um das Ohr am twitternden Bürger zu haben.

Das ist die Basis für den nächsten Aspekt, die Möglichkeit mit Menschen zu reden.

Theorie II: Interaktion und Inhalte schaffen


Statt marktforschungsgetriebener Wahlprogramme kann ich also ad hoc auf Themen reagieren und in eigenen Plattformen wie Blog, Webseite, Social Networks wie Twitter oder Facebook Stellung beziehen.

Praxis II: Raus gehen und reden


Das ist selbsterklärend oder? Ich könnte permanent in der virtuellen Fußgängerzone Rosen verteilen z.B. in dem ich den Neu-Twitterer @BarisOenes begrüße oder in die Diskussion einsteige. Ressourcen-intensiver Ansatz aber mit Potential. Themen die ich als wichtig erachte, denen widme ich mich ausführlicher und integriere sie auf meiner zentralen Plattform dem Content oder Storytelling Hub.

Theorie III: Der Content Hub


Nach meiner Forschung in sozialen Medien und dem Abgleich mit der Marktforschung, die ich bestimmt auch in der Schublade habe, hab ich also meine Themen gefunden für die ich stehen und gefunden werden will. Wo findet das statt? Was ist mein Storytelling Hub auf dem meine Gedanken gesammelt werden? Leser- und googlefreundlich gestaltet bildet er die zentrale Plattform auf der ich gefunden werde und auf die ich aktiv durch Werbung hinweise.

Praxis III:  Wie gestalte ich meinen Content Hub?


Der Content Hub  könnte www.olafscholz.de sein. Aktuell ist die Website noch nicht optimal gelöst, eher eine Sammlung von Texten die für andere Anlässe gedacht waren. Ein Blogformat, das mehr Lust am Lesen im Web macht, ist hier sinnvoll.

Texte müssen an das neue Medienformat angepasst statt stumpf eingefügt werden. Maxime: kurze Absätze statt Bleiwüste.

Schönes Beispiel dafür wie es nicht optimal ist: Eine Rede nachlesen, daran haben maximal Historiker Spaß, also sollte so ein Inhalt für das Internet passend aufgearbeitet werden. Also kurze und prägnante Aussagen statt Bleiwüste. In diesem Fall vielleicht sogar noch besser: Bewegtbild.

Ich könnte mir vorstellen, dass es ein Video gibt, wie diese Rede gehalten wurde. Und dass es irgendwo in der SPD Hamburg jemanden gibt der aus diesem langen Video einen 1 bis 2 Minuten Imagefilm machen kann. Denn auch Bildwüste macht keinen Spaß.

Theorie IV: Wähler binden und Kontakt halten


Ich kann Geld ausgeben, ich kann gefunden werden via Google, beides gute Optionen. Mittelfristig sollte ich mich aber in die Lage bringen, selber Kunden Wählerkontakt zu haben. Also will ich in Ergänzung E-Mail Marketing betreiben: eine kostengünstige Möglichkeit mit Wählern im Kontakt zu bleiben. Oft tot gesagt aber trotzdem ein performanter Kanal.

 

 

Praxis IV: Adressgenerierung, Segmentierung und Nurturing von Interessenten


Schritt 1: Newsletter-Anmeldungen generieren

Auf meinem Storytelling Hub will ich E-Mailadressen einsammeln, wie geh ich da am schlausten ran? Prominente Einbindung eines Störers auf der Website, Icon in der Navigation oder auch als Layer der nach einer gewissen Zeit auftaucht. Ich hör euch jetzt „uuugh nervig denken“ liebe Leser aber denkt dran: Ihr seid nicht das Internet. Daher testet man sowas. Wenn die Abbruchrate hoch ist, dann lässt man es wieder, wenn die Zahl der generierten E-Mailadressen steigt: Weiter testen mit größerem Störer der blinkt und Geräusche macht (<= unverbindliche Idee!)

Werfen wir auch hier wieder einen Blick auf Olaf Scholz, so richtig ernst meint der das aus meiner Sicht nicht, könnte man besser machen. Ich würde ganz einfach ein Formular mit einem kurzen Text was mich erwartet („Abonnieren sie meinen wöchentlichen Newsletter zur Hamburger Lokalpolitik“), einem Textfeld für die E-Mailadresse und den Button „Newsletter abonnieren“ einbauen. Alle Details kann ich später noch abfragen.

Newsletterbestätigung olafscholz.de
Weiterer kleiner Tipp an den Kollegen Scholz: E-Mail Marketing ist Teil des Dialogmarketing. Dialogbereitschaft kann man deutlich besser rüberbringen als in solchen Textblöcken die vermutlich ein System-Admin geschrieben hat.

Warum nicht die letzten Newsletter hier als Übersicht bereitstellen? Dann muss der User nicht auf den nächsten warten sondern kann den von gestern direkt lesen?

Schritt 2: Relevante Inhalte senden

Wenn man es richtig gut machen will: Dann gilt es zu segmentieren und die passende Newsletter gestalten. Denkbar wäre also eine Trennung z.B. nach SPD-Mitgliedern, Journalisten, Alterssegmenten (Neuwähler vs. Rentner) oder nach Stadtteilen/Bezirken.

Wenn ich das nicht leisten kann oder so kleine Segmente rauskommen, dass der Arbeitsaufwand nicht in Relation steht, dann muss ich das über meinen Themenmix im Newsletter steuern und für jeden Fisch einen Köder einbauen

Theorie V: Reichweite aufbauen durch bezahlte Werbung


Wir haben Themen identifiziert, auf unserem Storytelling Hub drüber berichtet und bieten unseren Nutzern dort die Chance sich unsere Newsletter zu abonnieren, damit wir in dran bleiben können.

Jetzt wird es Zeit für den Reichweitenaufbau. Bezahlte Werbeformate bieten mir die Chance meine Botschaft zu verbreiten sei es als klassisches Display Anzeige oder Werbung in Suchmaschinen.

Gerade Werbung wie Google AdWords ist hier extrem wertvoll, da es Fragen beantwortet, die User haben und der Suchmaschine Google stellen - wie kann ich es mir da leisten NICHT mit meiner Meinung dort aufzutauchen?

Praxis V: Inhalte gezielt bewerben

Für Olaf Scholz bietet es sich aus meiner Sicht an, seinen eigenen Namen sowie die ausgewählten Fokusthemen (aus Schritt 1) zu bewerben. Auch bei kritischen Themen könnte ich aufsuchen und per Anzeige beim Begriff „Elbphilharmonie“ oder „Lampedusa“ meinen Content Hub und meine Sicht der Dinge platzieren.

Googles Display Netzwerk bietet ergänzend die Möglichkeit auf thematisch passenden Seiten aufzutauchen. Wenn ich die Wörter wie „Kita, Kindergarten, Hamburg, KITA Platz“ lande ich auf Seiten die von Menschen geschrieben und gelesen werden, die dieses Thema bewegt. Gute Möglichkeit, meine Sicht der Dinge dort zu platzieren.

Liebe Politiker, das wären ein paar Ideen von mir, ich bin gespannt wie sie ankommen und freue mich auf Frage und Anmerkungen.


Autor



Sven-Olaf Peeck
Sven-Olaf Peeck ist Gründer und Geschäftsführer der crowdmedia GmbH in Hamburg. crowdmedia versetzt Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in die Lage sinnhaft mit Stakeholdern zu kommunizieren. Svens liebste Themen sind Content Marketing und die Integration der digitalen Medien in den Kommunikationsmix. Er ist Dozent u.a. an der Hamburg Media School.



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