Wahlbeobachter in den Medien

Dienstag, 5. August 2014

Privat oder Politisch? - Die Wirkung privater Facebookpostings von Politikern

Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Thomas Roessing und Dr. Nikolaus Jackob vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 

1. Hintergrund, Fragestellung und Hypothesen


JGU
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Blogs und soziale Medien sind zu einflussreichen Kanälen für die politische Kommunikation geworden (vgl. z. B. Bieber, 2011; Schwalm, 2013). Viele Abgeordnete und Kandidaten präsentieren sich sowohl mit eigenen Webseiten herkömmlicher Art, als auch mit ihren Facebook-Profilen (vgl. Jungherr & Schoen, 2013; Collet, Liedtke, & Schober, 2013). Dieser Trend zur Politik im Social Web leistet gleichzeitig Personalisierungstendenzen Vorschub, denn soziale Medien wie Facebook sind für Privat- und nicht für Politik-Kommunikation konzipiert.

Für Politiker stellt sich deshalb die Frage, ob es ihrem Ansehen nutzt oder schadet, wenn sie unpolitische Anmerkungen oder gar persönliche Informationen und Privates posten. Bereits in der traditionellen politischen Kommunikation gab es Trends zu Berichterstattung über Privates. Dabei handelte es sich einerseits um gezielte Inszenierungen, beispielsweise für die Verwendung in Wahlwerbespots. Andererseits erlaubten oder ermunterten Politiker Reporter, über Privates zu berichten. Solche Einblicke ins Private sollten Volksnähe und Offenheit demonstrieren.

BUNTE-Titel mit Rudolf Scharping,
Quele: Thüringer Blogzentrale
Allerdings stellte sich auch schon früher die Frage, inwieweit die Berichterstattung über Privates positive oder negative Konsequenzen für die betroffenen Politiker und die politische Kultur hat (vgl. Holtz-Bacha, 2002). Der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) machte Bekanntschaft mit dieser Problematik, nachdem am 23. August 2001 ein Interview mit ihm in der Zeitschrift „Bunte“ erschienen war. Er sprach in dem Interview auch über Privates und die zugehörigen Bilder zeigten ihn unter anderem beim Baden mit seiner Freundin (vgl. Vogt, 2002). Angesichts seiner Rolle als Verteidigungsminister und des Einsatzes von Bundeswehrsoldaten auf dem Balkan empfanden viele diese Zurschaustellung des Privatlebens als unangemessen.

Offenbar können Einblicke ins Privatleben neben der angestrebten positiven Wahrnehmung der Person auch negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung eines Menschen als Politiker haben. Das ist die Grundannahme unserer experimentellen Untersuchung.

Privates auf Facebook


In unserer Studie sind wird folgender Frage nachgegangen: Haben private Beiträge im Facebook-Profil eines Politikers einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Politikers als Person oder als Politiker oder auf die Wirkung seiner Beiträge selbst?

Dabei sind wir von drei Annahmen (Hypothesen) ausgegangen:
Erstens: Private Beiträge im Facebook-Profil führen dazu, dass die Funktion der Person als Politiker weniger positiv wahrgenommen wird.
Zweitens: Private Beiträge im Facebook-Profil lassen die Person des Politikers positiver wirken.
Drittens: Die eigentlichen Beiträge im Facebook-Profil werden in Abhängigkeit vom Faktor „privat/politisch“ unterschiedlich wahrgenommen, je nachdem, ob es um Persönlichkeitseigenschaften (z. B. vertrauenswürdig) oder inhaltliche Dimensionen (z. B. informativ) geht.

 

Experiment


Wir testeten die genannten Hypothesen im Rahmen eines Online-Experiments, das im Sommersemester 2013 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt wurde. Insgesamt 73 Probanden wurden parallelisiert auf zwei experimentelle Bedingungen verteilt. Die erste Gruppe betrachtete das politisch-privat gestaltete Facebook-Profil des fiktiven Europaabgeordneten Johann Huber. Dieses Profil enthielt sowohl im Informationskasten, als auch bei den eigentlichen Profilpostings private Informationen. Im Info-Kasten hieß es beispielsweise, dass Huber gern segelt, Ski fährt und Zeit mit seiner Familie verbringt. Postings auf dem eigentlichen Profil handelten vom Geburtstag seiner Tochter oder dem Besuch eines Schützenfestes.

Die zweite Gruppe sah dasselbe Profil, allerdings mit ausschließlich sachlich-politischen Beiträgen (z. B. zu den Themen Steuerhinterziehung oder Datenschutz). Die verschiedenen Varianten des Facebook-Profils gestalteten wir mit Graphik- und Layout-Software. Die Profile waren also nie öffentlich im Internet zu sehen. Nachdem sie die angeblichen Facebook-Profile eingehend betrachtet hatten, füllten die Probanden einen Online-Fragebogen aus, der insgesamt 26 fünfteilige Skalen zu den drei Dimensionen Person, Politiker und Beiträge enthielt.

Ergebnisse


Johann Huber wirkt als Politiker lediglich weniger sachlich (Mittelwerte 2,78 und 3,53, p<.05) wenn er private Postings unter seine politischen Beiträge mischt. Auf seine Wahrnehmung als seriös, vertrauenswürdig, gründlich, kompetent und professionell haben die privaten Informationen keine signifikanten Auswirkungen. Das gilt interessanterweise auch für die Wahrnehmung Hubers als volksnah.

Die privaten Beiträge haben auf die Wahrnehmung Johann Hubers überhaupt keine signifikanten Auswirkungen – also auch nicht die positiven, die Politiker sich von solchen Inhalten möglicherweise erhoffen.

Die Rezeption von Hubers Beiträgen selbst illustriert Schaubild 1: Mischt er Privates unter seine politischen Beiträge, so erscheinen seine Beiträge insgesamt deutlich negativer als bei einem rein politischen Facebook-Auftritt. Sie sind unprofessioneller, inkompetenter, weniger sachlich, weniger nützlich, weniger interessant und weniger informativ.

Schaubild 1: Rezeption der Facebook-Beiträge (* bedeutet: Unterschied ist signifikant auf dem .05-Niveau)

 

Fazit


Politiker sollten sich sehr genau überlegen, ob sie Privates bei Facebook posten. Diese Untersuchung konnte keinen einzigen Vorteil identifizieren, den „Johann Huber“ vom Veröffentlichen privater Informationen gehabt hätte. Im Gegenteil: Seine Beiträge werden weniger positiv wahrgenommen, private Informationen haben keinen Einfluss auf seine Wahrnehmung als Person und verschlechtern seine Wahrnehmung als sachlicher Politiker.

Allerdings sind bei der Interpretation der Befunde einige Besonderheiten zu beachten.
Gegenstand der Untersuchung war ein fiktiver, männlicher Europapolitiker aus Österreich, während die Probanden deutsche Studierende waren. Es ist unbekannt, ob private Beiträge eines jüngeren Politikers mit anderem politischen Hintergrund möglicherweise anders wahrgenommen werden. Wir wissen auch nichts über die genaue Wirkung unterschiedlicher privater Informationen. Wie würde Johann Huber wahrgenommen, wenn er andere private Informationen verbreitet hätte, z. B. über seinen Hund? Das einfache experimentelle Design liefert auch keine Informationen zur Wirkung des Info-Kastens im Vergleich zum eigentlichen Profil. Zuguterletzt berücksichtigt die Untersuchung nicht, dass manche Politiker ein berufliches und ein privates Profil haben, unterschiedliche Informationen also auf zwei Kanäle verteilen, auf denen die Leser jeweils unterschiedliche Inhalte erwarten. Für ein aussagekräftigeres Bild wäre folglich eine größere Zahl komplexerer Experimente nötig. Dennoch legen unsere Befunde den Eindruck nahe, dass Privatisierung nicht in allen Kontexten und zu allen Zwecken ein nützliches Mittel für politische Selbstdarstellung ist.


Literatur

Bieber, C. (2011). Der Online-Wahlkampf im Superwahljahr 2009. In E. J. Schweitzer & S. Albrecht (Hrsg.), Das Internet im Wahlkampf (S. 69–95). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Collet, S., Liedtke, O. & Schober, H. (2013). Politiker in den Sozialen Medien: Neue Möglichkeiten für neues Wissen? In G. Eckert, L. Novy & D. Schwickert (Hrsg.), Zwischen Macht und Ohnmacht (S. 150–159). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Holtz-Bacha, C. (2001). Das Private in der Politik: Ein neuer Medientrend? Aus Politik und Zeitgeschichte (41-42), 20–26.
Jungherr, A. & Schoen, H. (2013). Das Internet in Wahlkämpfen in den USA und Deutschland. In A. Jungherr & H. Schoen (Hrsg.), Das Internet in Wahlkämpfen (S. 69–138). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Schwalm, T. (2013). Wahlkampfführung 2.0. Wie das Social Web die innerparteiliche Wahlkampforganisation verändert. In T. Roessing & N. Podschuweit (Hrsg.), Politische Kommunikation in Zeiten des Medienwandels (Media convergence, Bd. 6, S. 47–69). Berlin: De Gruyter.
Vogt, L. (2002). Scharping im Pool. Über Chancen und Risiken der Privatisierung des Politischen. In C. Schicha & C. Brosda (Hrsg.), Politikvermittlung in Unterhaltungsformaten (Ikö-Publikationen, Bd. 3, S. 134–151). Münster: LIT.


Autoren                                          


IfP Mainz
Dr. Thomas Roessing
Dr. Thomas Roessing, Kommunikationswissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er vertrat dort 2010-2011 die Professur für Medienkonvergenz und betreut derzeit Untersuchungen zu Online-Kommunikation, Medienwirkungsforschung und zur Methode des sozialwissenschaftlichen Experiments. 2013 gab er gemeinsam mit Nicole Podschuweit den Sammelband „Politische Kommunikation in Zeiten des Medienwandels“ heraus.




IfP Mainz
Dr. Nikolaus Jackob
Dr. Nikolaus Jackob ist Akademischer Oberrat am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 2005 promovierte er zum Thema "Öffentliche Kommunikation bei Cicero. Publizistik und Rhetorik in der späten römischen Republik" (summa cum laude). Derzeit läuft sein Habilitationsverfahren mit Schwerpunktthemen im Bereich audiovisuelle Persuasion, Medienvertrauen und Journalismusforschung. Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher Publikationen über Rhetorik und Persuasionsforschung und Online-Forschung. Seine Forschungen wurden u.a. mit dem DGPuk-Zeitschriftenpreis und dem Promotionspreis der Universität Mainz ausgezeichnet.







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