Dies ist ein Gastbeitrag von
Florian Wintterlin vom Institut für Kommunikationswissenschaft der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Die Studie ist Teil eines Forschungsprojekts
am Institut für Kommunikationswissenschaft zum Thema „Medien und politisches
Vertrauen“ unter Leitung von Prof.Dr. Marcinkowski.
Auf die Relevanz von Vertrauen in die Politik moderner Demokratien
wurde bereits 1965 vom kanadischen Politikwissenschaftler David Easton
hingewiesen, der vor der Gefahr warnte, dass fehlendes Vertrauen die einzelnen
Mitglieder der Gesellschaft von politischen Autoritäten entferne und für
politische Instabilität sorge.
Politisches Vertrauen beruht auf
individuellen Erwartungen an künftige Leistungen des
politischen Systems (vgl. Barber 1983). Als Gründe für die Bildung
politischen Vertrauens dienen Einschätzungen von Strukturen und Prozessen des
politischen Systems und insbesondere die Beurteilung politischer Akteure.
Quellen für diese Einschätzungen sind persönliche Gespräche, Medien sowie
Primärerfahrungen mit Politik.
Wenn man den Analysen von Experten und Medien glauben darf, haben wir
es seit den 60er-Jahren mit einem substantiellen
Niedergang politischen Vertrauens in westlichen Demokratien zu tun, für den
nach der Videomalaise-These die Massenmedien eine Teilverantwortung tragen
(vgl. Robinson 1975; Cappella & Jamieson 1997). Mit dem Internet und
insbesondere Social Media werden
jedoch im wissenschaftlichen Diskurs aufgrund niedriger Zugangshürden und hoher
Interaktivität Hoffnungen auf mehr
Partizipation der Bürger am öffentlichen Diskurs verbunden (vgl. Emmer et
al. 2011; Coleman/Blumler 2009). In der Praxis nutzen einige Politiker wie
Peter Altmaier (CDU) deren Möglichkeiten bereits sehr aktiv (vgl. Abbildung 1).
Als eine der ersten ihrer Art stellt die hier vorgestellte Studie nun
die Frage, welche vertrauensrelevanten Wirkungen die interaktive, persönlichere
Form der Kommunikation auf Social Network Sites (SNS) hat.
Nach netzwerktheoretischen Argumenten sind drei Gründe dafür
verantwortlich, dass Social-Media-Kommunikation ihren Einfluss hauptsächlich auf die Einschätzung politischer Akteure
ausübt.
- Erstens sind Social Media ein stark personalisiertes Medium, das Politikern neue Möglichkeiten bietet, sich selbst positiv und transparent darzustellen.
- Zweitens können Nutzer direkt mit Politikern interagieren, was zu einem „sense of intimacy“ (Crawford 2009: 528) führt.
- Und drittens kann bereits das Verfolgen von Interaktionen Anderer mit Politikern deren Bewertung positiv beeinflussen (vgl. Donath 2008; Lee 2013). Es wird demzufolge argumentiert, dass der Effekt von Social Media auf politisches Vertrauen ein indirekter, über die Wahrnehmungen politischer Akteure vermittelter Effekt ist [1].
Abbildung 2: Variablenmodell
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NUTZUNG POLITISCHER INHALTE IN SOCIAL MEDIA
Von den Social-Media-Nutzern verwenden 33,9 Prozent mindestens mehrmals pro Monat Online-Netzwerke für
politische Zwecke, immerhin 12,4 Prozent sogar täglich. Die Zahl
derjenigen, die Social Media nie im Zusammenhang mit Politik nutzen, liegt bei
36,5 Prozent. Bezogen auf die gesamte Stichprobe liegt der Anteil derjenigen,
die Social Media mindestens selten für politische Zwecke nutzen bei 41,6
Prozent.
Abbildung 3: Häufigkeiten politischer Social-Media-Nutzung in Prozent
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BEURTEILUNGEN VON POLITIKERN SIND DER WICHTIGSTE GRUND FÜR POLITISCHES VERTRAUEN
Zunächst wurde in einem ersten Auswertungsschritt überprüft, welche der erfassten politischen Einstellungen, demografischen Merkmale und Mediennutzungsvariablen einen signifikanten Einfluss auf das politische Vertrauen haben. Dabei erwiesen sich neben globalen Einschätzungen der wirtschaftlichen Lage und einer allgemeinen Zufriedenheit mit der Demokratie auch die vorher theoretisch angenommenen Beurteilungen politischer Strukturen, Prozesse und Akteure als relevante Prädiktoren. Stärkster Prädiktor sind die Einschätzungen der Politiker, was die These einer personalisierten Politikwahrnehmung bestätigt.
SOCIAL-MEDIA-NUTZUNG BEEINFLUSST DIE BEURTEILUNG VON POLITIKERN POSITIV
Im zweiten Schritt wurden relevante Einflussfaktoren auf den Hauptgrund
politischen Vertrauens, die Politikerwahrnehmung, identifiziert. Hinter einer
allgemeinen Demokratiezufriedenheit, die offensichtlich auch eine positive
Wahrnehmung der handelnden Personen zur Folge hat, ist die Social-Media-Nutzung für politische Zwecke der stärkste Faktor und
beeinflusst das Bild der Politiker positiv. Insbesondere im Vergleich zu den
ebenfalls erfassten klassischen Massenmedien, bei denen kein signifikanter
Effekt nachgewiesen werden konnte, erwiesen sich Social Media als starker
Prädiktor.
SOCIAL MEDIA HABEN EINEN INDIREKTEN, POSITIVEN EINFLUSS AUF POLITISCHES VERTRAUEN
Die Resultate des Pfadmodells zeigen, dass Social Media auch unter
Berücksichtigung relevanter Kontrollvariablen einen signifikant positiven,
indirekten Einfluss auf politisches Vertrauen haben, der durch die Einschätzung
der Politiker vermittelt ist. Social Media
haben einen starken Einfluss auf das Bild, was wir uns von Politikern machen,
welches wiederum der Hauptgrund für Vertrauen in Politik ist.
BESONDERES WIRKUNGSPOTENTIAL BEI POLITISCH WENIG INTERESSIERTEN
Wenn nach politischem Interesse differenziert wird, zeigt sich der
Social-Media-Effekt am stärksten bei politisch wenig Interessierten. Besonders in der Gruppe derjenigen, die
ansonsten nicht von politischer Kommunikation erreicht werden, ist demnach das
Wirkungspotential von Social Media in Bezug auf die Bildung politischen
Vertrauens am höchsten.
FAZIT
Politische Kommunikation über Social Media ist nach den Befunden der Studie
in der Lage, die Beziehung zwischen
Politikern und Bürgern über klassische Massenmedien hinaus zu vitalisieren
und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Die Möglichkeit einer
größeren Nähe zu den Politikern begünstigt die Entwicklung politischen
Vertrauens. Dieser Befund ist insbesondere für europäische Länder relevant, in
denen die Verwendung von Social Media als Mittel der politischen Kommunikation
weitgehend unterentwickelt ist und große
Potentiale bislang ungenutzt bleiben.
Barber, Bernard (1983): The Logic and Limits of Trust. New Brunswick.
Cappella, Joseph
N./Jamieson, Kathleen H. (1997): Spiral of Cynicism. New York.
Coleman,
Stephen/Blumler, Jay (2009): The Internet and Democratic Citizenship: Theory;
Practice; Policy. New York.
Crawford, Kate (2009):
Following You: Disciplines of Listening in Social Media. In: Journal of Media
and Cultural Studies. 23. Jg., Nr. 4: 525-535.
Donath, Judith (2008):
Signals in Social Supernets. In: Journal of Computer-Mediated Communication.
13. Jg., Nr. 1: 231–251.
Easton, David (1965): A
System Analysis of Political Life. New York.
Emmer, Martin/Vowe, Gerhard/Wolling, Jens (2011): Bürger online. Die
Entwicklung der politischen Online Kommunikation in Deutschland. Bonn.
Lee, Eun-Ju (2013):
Effectiveness of Politicians’ Soft Campaign on Twitter Versus TV: Cognitive and
Experiential Routes. In: Journal of Communication. Published online before
print.
Robinson, Michael J.
(1975): American Political Legitimacy in an Era of Electron-ic Journalism:
Reflections on the Evening News. In: Cater, Douglas/Adler, Richard (Hrsg.):
Television as a Social Force. New York: 97-139.
Autor
Florian Wintterlin promoviert am Graduiertenkolleg für Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt in Münster
über die Verwendung von Social-Media-Quellen bei der Berichterstattung aus
Krisengebieten. In einem zweiten Schwerpunkt interessiert er sich besonders für
die politische Vertrauensforschung und Zusammenhänge mit Medien im Allgemeinen
und Social Media im Speziellen.
[1]
Die verwendeten Daten stammen aus einer Online-Befragung (N=519), die mithilfe
der Global Market Insight, Inc. (GMI) realisiert wurde. Die Befragten sind
hinsichtlich des Alters und Geschlechts proportional zur Gesamtbevölkerung
verteilt. Zur Überprüfung der Hypothesen wird der Datensatz mit Hilfe von
Regressionsanalysen und Pfadmodellen analysiert.
Aber diese Effekte treten wohl nur bei der Minderheit ein, die das Internet politisch nutzen oder wahrnehmen.
AntwortenLöschenUmgekehrt gilt, daß das Bild Sigmar Gabriels doch auch für Social-Media-Junkies nicht nur aus seinem rudimentären Twitteraccount und spärlicher Reklame während seiner Kurzelternzeit besteht.
Insgesamt liegt da noch eine lange Wegstrecke vor uns.