Wahlbeobachter in den Medien

Dienstag, 2. Dezember 2014

Bitte fragt mich alles - Ask me Anything in der Politik

Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. In meiner zehnten Kolumne in der Ausgabe Oktober/November 2014 frage ich mich, warum sich so wenige deutsche Politiker via Reddit befragen lassen.

Hier das Cross-Posting dieser Kolumne. 

Würde das Internet die Politik verändern? Würden Wähler und Politiker wieder intensiver miteinander kommunizieren? Nicht nur am Wahlkampfstand? Viele haben Großes erwartet, manch einer ist heute ernüchtert. Denn oftmals wollen Bürger gar nicht mit Politikern sprechen, chatten, twittern. Besonders im Wahlkampf suchen sie vor allem Informationen, wie die aktuelle Studie „Wahlkampf digital“ der FU Berlin zeigt.
Logo reddit.com
Deswegen auf’s Internet verzichten? Eine schlechte Idee. Denn die direkten Dialogangebote im Netz ergänzen klassische Angebote wie Bürgersprechstunden und das Gespräch am Wahlkampfstand. Besonders interessant für jene Wähler, die wenig Zeit im Wahlkreis verbringen, für ältere und gehbehinderte Menschen sowie für junge, die mit dem Internet aufgewachsen sind.

Viele Politiker nutzen das Internet schon kreativ für den Dialog mit ihren Wählern: So lädt der Berliner Bundestagsabgeordnete Dr. Frank Steffel (CDU) zur Skype-Sprechstunde, andere bevorzugen Twitter-Townhalls (z.B. #AskPeer, #AskMartin) und Facebook-Sprechstunden (z.B. Cansel Kiziltepe), politik-digital.de hat die Digitale Bürgersprechstunde mit Google-Hangouts etabliert und viele Politiker aus Bundes- und Landesebene nutzen engagiert Frageportale wie direktzu.de und abgeordnetenwatch.de.

Nur ein Instrument vermisse ich in der deutschen Politik! „Ask me anything“ (Kurz: AmA) auf Reddit.com.
Reddit, 2005 gegründet, versteht sich als sogenannter “Social News Aggregator“. Das heißt: Angemeldete Nutzer veröffentlichen auf Reddit Texte, Links und Videos die andere Nutzer wiederum bewerten. Je positiver die Masse einen Beitrag bewertet, umso prominenter erscheint er auf der Reddit-Startseite für alle Nutzer. Somit erstellen alle Nutzer ihre eigene Nachrichtenseite, die die populärsten Inhalte in den Vordergrund rückt. Deswegen auch der Name: Read (lesen) und edit (bearbeiten). Im Jahr 2013 nutzten mehr als 730 Millionen Menschen das soziale Netzwerk, damit ist es das sechstgrößte Netzwerk weltweit. Hierzulande wartet Reddit bisher noch auf seinen Durchbruch: Nur rund. 2,2 Prozent der Nutzer kommen aus Deutschland.

Eine der bekanntesten Funktionen ist das sogenannte Subreddit AmA, eine Art Unterkategorie, in der Nutzer sich den Fragen der Community stellen. Meist findet die Fragerunde zu einer bestimmten Zeit statt, vergleichbar mit einem Chat oder einem Forum.

Screenshot
Screenshot AmA deutsch



AmA bietet eine Kombination aus Funktionen, die es auch für die Politik interessant machen:  Es ist niedrigschwellig, da man sich zum Lesen der Fragen und Antworten nicht anmelden muss, es ist zeitunabhängig, da die Antworten archiviert werden und als FAQ genutzt werden können, es ist einfach zu bedienen, es ist nicht auf politischen Themen begrenzt und bietet mehr Platz als Twitter und Facebook. Zudem bewertet die Crowd Fragen und Antworten und hebt so die spannendsten hervor. Dadurch das gut bewertete AmAs im Nachgang prominenter auf der Seite angezeigt werden, erreichen diese im Nachgang auch noch zusätzliche Leser. Erfolgreiche Inhalte von AmAs haben so in der Vergangenheit ganz eigene Dynamiken durch die virale Verbreitung erfahren und fanden weite Verbreitung.

Durch die Offenheit der Fragerunde („Fragt mich alles“) entsteht eine ganz eigene Diskussionskultur: Die Chats wirken viel interaktiver und sind thematisch breiter als bei vielen anderen Formaten. Das macht  Lust auf Dialog – und somit Lust auf Politik. Selbst politisch Desinteressierte können so niedrigschwellig an politische Inhalte herangeführt werden.
Screenshot
Screenshot AmA Barack Obama

In den USA nutzte Barack Obama AmA zum Beispiel im vergangenen Wahlkampf, dabei kamen mehr als 13.000 Kommentare in einer halben Stunde zusammen. In Deutschland haben sich bisher, abgesehen von einigen Piraten-Politikern und Netzprominenten wie Stefan Niggemeier und Ronny Kraack vom Kraftfuttermischwerk, eher normale Menschen den Fragen der Gemeinschaft gestellt. Diese Chats zeigen aber schon sehr eindrucksvoll, wie spannend, ungewöhnlich, erkenntnisreich und inspirierend eine AmA-Session sein kann.
  
Ich gebe zu: Anfangs wirkt Reddit etwas unübersichtlich, aber nach ein paar Minuten hat man die Logik hinter dem grafisch nicht besonders anspruchsvollen Layout verstanden.

Wer ist der erste prominente deutsche Politiker der sich auf Reddit.com wagt?  Ich würde mich freuen, wenn auch deutsche Mandatsträger mit Lust auf Dialog den Weg zu Reddit  finden würden  – ein Versuch lohnt sich!   


Linktipp: Johannes Wendt hat drüben bei torial die allgemeinen Potentiale von Reddit als soziale Erbsensuppe  beschrieben.  

Update Mai 2015: Im Bremer Bürgerschaftswahlkampf nutzte der grüne Fraktionsvorsitzende Dr. Matthias Güldner im Mai 2015 ein AmA um sich den Fragen der Wähler zu stellen. Trotz Ankündigung und Wiederwahl hat er dies bisher nicht in der laufenden Legislaturperiode wiederhohlt.

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