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Twitter wird seither
zunehmend als Indikator für Modernität massenmedial inszeniert und der
Zuschauer oder Leser ermuntert, mitzumachen: Mit Tweets zur Weltmeisterschaft,
zu TV-Sendungen wie Kochprofis und besonders zu politischen Themen. Auf Twitter
wird das Ideal der Meinungsfreiheit in seiner digitalen Variante verwirklicht,
so die Idee.
Für den Journalismus besonders praktisch ist der dabei entstehende „Gratis-Content“. Überspitzt formuliert: Der Praktikant, der bisher auf dem Marktplatz Bürgerstimmen einfangen musste, kann eingespart werden. In seine Rolle schlüpft der zur Twitternutzung motivierte „moderne“ Zuschauer oder Leser.
Besonders die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten setzen auf Twitter. Im „Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrags, über die Qualität und Quantität ihrer Telemedienangebote sowie über die geplanten Schwerpunkte“ (.pdf) heißt es u.a. hierzu:
Für den Journalismus besonders praktisch ist der dabei entstehende „Gratis-Content“. Überspitzt formuliert: Der Praktikant, der bisher auf dem Marktplatz Bürgerstimmen einfangen musste, kann eingespart werden. In seine Rolle schlüpft der zur Twitternutzung motivierte „moderne“ Zuschauer oder Leser.
Besonders die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten setzen auf Twitter. Im „Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrags, über die Qualität und Quantität ihrer Telemedienangebote sowie über die geplanten Schwerpunkte“ (.pdf) heißt es u.a. hierzu:
- Im Berichtszeitraum haben viele Redaktionen Twitterzugänge für ihre Programme eingerichtet, um ausgewählte Inhalte anzubieten oder auf die Programme hinzuweisen, um die Nutzergruppen dort abzuholen, wo sie sich schwerpunktmäßig befinden.
- Für Sendungen der ARD werden Social Networks genutzt, um Inhalte besser den verschiedenen Nutzergruppen anbieten zu können. Erfolgreich ist dies besonders bei „Tatort“-Fans.
- „Online gelingt es tagesschau.de durch den Einsatz des neuen Social-Viewing-Tools, moderierte Nutzerkommentare über Twitter, Facebook und Kommentare aus dem eigenen Angebot mit dem Livestream der Wahlsendung zu verknüpfen und quasi live zu senden. Auch dieses Angebot war bei den Nutzern sehr erfolgreich und soll nun bei jeder Wahl eingesetzt werden.“
Zusammenfassend
wird eine scheinbare Modernität postuliert und mit einem bürgernahen Hashtag-Journalismus
verbunden. Die Frage ist dabei, ob dies wirklich zutreffend ist. Mit anderen
Worten: Gibt es wirklich die aktive Twitter-Öffentlichkeit, in der das Ideal
von Deliberation möglich ist? Hierzu werden drei Fälle skizzierend dargestellt
(Datenbasis=Twitter API). Es handelt sich bei allen Fällen um Hashtags, die
crossmedial auf einen singulären Anlass hin Aufmerksamkeit fanden. (Die Analyse
fokussiert aufgrund der Forschungsfrage folglich diese Hashtagsorte).
GroKo und der SPD-Mitgliederentscheid (Dezember 2013)
Mag man dem
Medienecho glauben, dann wurde Ende 2013 besonders intensiv auf Twitter über
das Zustandekommen der „GroKo“ diskutiert. Das Wort „GroKo“ ist in den Medien
präsent und steht für die zunehmende Verschmelzung der digitalen mit der Offline-Öffentlichkeit.
So sah es die Gesellschaft für deutsche Sprache in ihrer Begründung für das
„Wort des Jahres“ am 12. Dezember 2013. Das Web 2.0 und besonders Twitter
schien der zentrale Ort der politischen Diskussion: „Es ist ein #GroKo-Deal …
und während sich die Verhandlungspartner kurz ausruhen, wird das Ergebnis im
Netz seziert“ (sueddeutsche.de).
Eine Machtoption gab es für die SPD nur mit Merkel und so sollten die SPD-Mitglieder entscheiden und diskutieren – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Parteiengeschichte. Twitter hätte bedeutsam sein können, weil die Politik-Profis (mit Twitter-Account) direkt erreicht werden können. Gleiches gilt für die Journalisten. Mit anderen Worten sind die politischen Entscheidungseliten und Meinungspfleger sehr leicht erreichbar.
Im Gegensatz
zum massenmedialen Hype zeigt eine Analyse der Twitterdaten allerdings ein anderes
Bild. Im Zeitraum vom 6. Dezember 2013 bis Anfang Januar 2014 wurden
kontinuierlich die Suchergebnisse zu den entsprechenden Hashtags in Twitter abgerufen.
Der Zeitraum wurde so gewählt, dass die Diskussion zum SPD-Mitgliederentscheid
und die Vereidigung der GroKo erfasst werden konnte. Es zeigt sich, dass
weniger als 5000 Nutzer an der Diskussion zum SPD-Mitgliederentscheid und der
GroKo beteiligt waren.
Von über 99 Prozent dieser Nutzer waren nur maximal zwei
Nachrichten in der Twitter-Suche gespeichert. Von einer regen und breiten
Diskussion kann folglich nicht die Rede sein. Aktiv sind vor allem die
etablierten „Offline-Pfleger“ der öffentlichen Meinung und besonders auffällig
ist der Twitter-Account der Tagesschau. Er ist auf Platz 27 bei den aktivsten
Twitter-Nutzern und auf Platz eins bei der Resonanz. Die Strategie der ARD ist
folglich erfolgreich (vgl. oben Punkt 3 der ARD-Strategie). Die Twitter-Kommunikation
lässt sich als Reaktion der Offline-Ereignisse charakterisieren. Maßgeblich ist
die Agenda der Medienberichterstattung und der Verfahrensregie zum
Mitgliederentscheid. Die Tageschau beatmet notfalls auch die Diskussion und
inszeniert Nachrichtenwert, indem z.B. so getan wird, als sei das SPD-Mitgliedervotum
gescheitert (siehe Screenshot). Interessanterweise trifft der „Shitstorm“ nach
dem positiven Ausgang des Mitgliederentscheids vorrangig die SPD als
Organisation und nicht den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Mit Verkündung des
Mitgliedervotums profitiert der SPD-Chef. Dies korrespondiert mit der Journalistenmeinung:
„Porträt Gabriel: Der starke Mann der SPD …“ (Tagesschau-Tweet). So scheint
sich zumindest das SPD-Spitzenpersonal durch den Mitgliederentscheid im
digitalen cross-over eine personalisierende Legitimationsbeschaffung zu generieren,
von der die SPD als Gesamtorganisation nicht profitiert.
Eine Machtoption gab es für die SPD nur mit Merkel und so sollten die SPD-Mitglieder entscheiden und diskutieren – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Parteiengeschichte. Twitter hätte bedeutsam sein können, weil die Politik-Profis (mit Twitter-Account) direkt erreicht werden können. Gleiches gilt für die Journalisten. Mit anderen Worten sind die politischen Entscheidungseliten und Meinungspfleger sehr leicht erreichbar.
Infografik über gesendete Tweets zum Hashtag #GroKo |
Screenshots tagesschau.de & Tweets zum SPD-Mitgliedervotum |
Landesparteitage der CDU und SPD in Rheinland-Pfalz (im November 2014)
Tweets zum CDU-Parteitag |
Tweets zum SPD-Parteitag |
Tatort (im November 2014)
Tweets zu #Tatort |
Die gesellschaftliche Relevanz der Twitter-Öffentlichkeit
Zusammengefasst haben die üblichen Öffentlichkeitsakteure das meiste Gewicht im Kommunikationsprozess der drei ausgewählten Fälle. Allerdings können auch Privatbürger leichter Gehör finden, denn überspitzt formuliert hat bei Twitter jeder einen „Balkon“, um zum Volke zu sprechen. Dies erhöht auf den ersten Blick die individuellen Teilhabechancen. Die Gefahr, dass aber die Galerie leer bleibt, ist groß.
Erfolgreich sind in Twitter vor allem etablierte Multiplikatoren und „Kommunikationsprofis“.
Es
deutet sich zudem an, dass sich die Trennung im Journalismus von Online und
Offline in der Auflösung befindet. Wer Resonanz in Twitter und vor allem auch
darüber hinaus erreichen möchte, muss in der Regel über die etablierten
Medienakteure spielen.
So bleibt die Forderung an einen „reflektierten“ Journalismus, der Twitter nicht nur dankbar als beliebig moderierbaren „Gratis-Content“ begreift, sondern die digitale Öffentlichkeit kritisch analysierend bewertet. Dazu gehört vor allem dem Publikum „reinen Wein“ einzuschenken und das stilisieren von Twitter selbstkritisch zu hinterfragen: Es gilt die Naivitätsbrille abzusetzen und den Informations-, Beteiligungs- und Mitmachmythos als Illusion der Medienmacher zu „enttarnen“. Denn Twitter ist nach wie vor eine Plattform für Profis und nicht für den „Normalbürger“.
Zudem ist bisher nicht reflektiert worden, dass Twitter selbst ein Gatekeeper ist bzw. wird. Das bedeutet, dass nicht alle Tweets in der Twitter-Suche gespeichert bleiben. Hier ein Beispiel: Für Bahnfahrer war im vergangenen Herbst #gdl (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) besonders „spannend“. Streiken die Lockführer? Und wenn ja, wann? Während der Internet-Browser offen war, tauchten in der Suche (Option alle Tweets anzeigen aktiviert) teilweise nur ganz kurz Meldungen zur GDL auf, die dann sofort wieder verschwanden. Sie flackern nur ca. eine Sekunde lang auf. Andere Tweets blieben aber nach wie vor in der Suche permanent sichtbar. Dabei war für den Bobachter inhaltlich nicht erkennbar, warum Twitter einige Nachrichten entfernte. Es ging inhaltlich in der Regel um den drohenden Bahnstreik. Verschiedenste Nutzer wurden aus der Suche binnen Sekunden gelöscht. Auch bei den untersuchten Parteitagen ließ sich technisch nachweisen, dass bestimmte Tweets von Twitter teilweise weggefiltert wurden. Dies betraf auch Medienvertreter.
Auf diese Gatekeeper-Problematik müssten die Journalisten bzw. Medien ihre Zuschauer/Leser hinweisen, wenn man die Twitter-Nutzung gezielt bewirbt. Twitter selbst versteckt seine
Gatekeeper-Regeln lediglich „apokryph“ in den Hilfen für Entwickler. [1] Es
ist eben nicht so, dass wirklich offene Redegleichheit herrscht. Premiumnutzer
kaufen z.B. einfach Trends. So sollte die ideale politische Öffentlichkeit im
Web 2.0 nicht aussehen. Besonders fragwürdig erscheint dann, dass vor allem die
öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten Twitter „pushen“, anstatt kritisch nach den
Folgen zu fragen, wenn die digitale Öffentlichkeit z.B. am Wahltag „gekauft“
werden kann. So wird der Zuschauer z.B. nicht auf das „Filtern“ durch Twitter
auf den entsprechenden Seiten der ARD hingewiesen.
Ist Twitter wirklich der Heilsbringer, oder nur die Illusion, die insbesondere
Medien selbst geschaffen haben, um modern zu wirken? Meinungsfreiheit bzw. die
Chance, dass andere die eigene Meinung auf Twitter überhaupt finden, ist nicht garantiert.
Die Etablierung einer digitalen res publica kann empirisch anhand der
Fallbeispiele in Frage gestellt werden.
So bleibt die Forderung an einen „reflektierten“ Journalismus, der Twitter nicht nur dankbar als beliebig moderierbaren „Gratis-Content“ begreift, sondern die digitale Öffentlichkeit kritisch analysierend bewertet. Dazu gehört vor allem dem Publikum „reinen Wein“ einzuschenken und das stilisieren von Twitter selbstkritisch zu hinterfragen: Es gilt die Naivitätsbrille abzusetzen und den Informations-, Beteiligungs- und Mitmachmythos als Illusion der Medienmacher zu „enttarnen“. Denn Twitter ist nach wie vor eine Plattform für Profis und nicht für den „Normalbürger“.
Zudem ist bisher nicht reflektiert worden, dass Twitter selbst ein Gatekeeper ist bzw. wird. Das bedeutet, dass nicht alle Tweets in der Twitter-Suche gespeichert bleiben. Hier ein Beispiel: Für Bahnfahrer war im vergangenen Herbst #gdl (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) besonders „spannend“. Streiken die Lockführer? Und wenn ja, wann? Während der Internet-Browser offen war, tauchten in der Suche (Option alle Tweets anzeigen aktiviert) teilweise nur ganz kurz Meldungen zur GDL auf, die dann sofort wieder verschwanden. Sie flackern nur ca. eine Sekunde lang auf. Andere Tweets blieben aber nach wie vor in der Suche permanent sichtbar. Dabei war für den Bobachter inhaltlich nicht erkennbar, warum Twitter einige Nachrichten entfernte. Es ging inhaltlich in der Regel um den drohenden Bahnstreik. Verschiedenste Nutzer wurden aus der Suche binnen Sekunden gelöscht. Auch bei den untersuchten Parteitagen ließ sich technisch nachweisen, dass bestimmte Tweets von Twitter teilweise weggefiltert wurden. Dies betraf auch Medienvertreter.
Auf diese Gatekeeper-Problematik müssten die Journalisten bzw. Medien ihre Zuschauer/Leser hinweisen, wenn man die Twitter-Nutzung gezielt bewirbt.
Autoren
Dr. Mathias König |
Dr. Wolfgang König |
[1] „Twitter search intends to bring you closer to content most relevant to
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(https://support.twitter.com/entries/66018)
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