Dies ist ein Gastbeitrag von Johannes Hillje. Er leitete den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei im Jahr 2014 und berät die Grüne Partei der Schweiz im aktuellen Wahlkampf.
Wenn die Anzahl der „Likes” einer Facebook-Seite in wenigen
Tagen sprunghaft ansteigt, kommt schnell der Verdacht auf, die neuen Fans seien
gekauft. Anbieter gibt es dafür schließlich genug. Verkauft werden „echte”
Facebook-Nutzer, die aber meist wiederum selbst einen kleinen Cent-Betrag dafür
bekommen, dass sie eine Seite „liken”. Rechtlich sind solche Geschäfte
umstritten, moralisch sind sie völlig inakzeptabel. Insbesondere in der
politischen Kommunikation einer Demokratie, die auf dem Repräsentationsprinzip
beruht, in der politische Ressourcen nach Wählerstimmen, Mitgliederzahlen oder
Mitgliederabstimmungen vergeben werden, ist der Kauf von Online-Unterstützern
faktisch Betrug. Gesellschaftlich kann es richtig problematisch werden, wenn
Medien die „Like”-Zahlen dann auch noch als Ersatz-Demoskopie heranziehen – wie
etwa in der Anfangszeit der Pegida-Bewegung.
Auf legitime Weise lassen sich Facebook-Fans durch den
Multiplizierungseffekt erfolgreicher Inhalte oder noch sprunghafter durch
gelungene Anzeigekampagnen gewinnen. Um Anzeigen bei Facebook zu schalten,
braucht man ein Budget. Die Anzeigen können damit einer selbst definierten
Zielgruppe von Facebook-Nutzern angezeigt werden. Je mehr der anvisierten
Facebook-Nutzer auf „Like“ klicken, also Fan der Seite werden, desto niedriger
sind die „Kosten pro Like“ - das Maß für den Erfolg der Kampagne. Meiner
Erfahrung mit politischen Anzeigenkampagne für den deutschen Facebook-Markt
nach zu urteilen, kann man mit gut konzipierten Anzeigen bei einem Tagesbudget
ab 2 Euro pro Anzeige, eine Kostenrate von unter 20 Cent pro Like erreichen.
Zuletzt habe ich die Grüne Partei in der Schweiz bei einer Facebook-Anzeigenkampagne beraten, die innerhalb von drei Wochen ein Wachstum
des Facebook-Publikums von 112% generierte. An dieser möchte ich beispielhaft
erläutern, wie man eine solche Kampagne aufziehen kann.
Interessant sind am Ende die Lehren, die man aus den
Ergebnissen der Kampagne für die zukünftige Öffentlichkeits- und
Kampagnenarbeit (nicht nur online, sondern auch offline) ziehen kann. Einige
wichtige Erkenntnisse der Kampagne der Schweizer Grünen sind:
Logo Grüne Partei in der Schweiz |
Wachstumskurve Facebook Grüne Schweiz (Pluragraph.de) |
Enge Zielgruppen definieren
Kampagnenmotiv gegen Massentierhaltung |
Parteien und Politiker kennen demographische Merkmale ihrer
Wähler wie Geschlecht, Wohnort, Bildungsstand, politische Einstellungen in der
Regel sehr genau. Diese Daten sind für die Konzeption der Anzeigekampagne zentral.
Bei der Bestimmung der Zielgruppe für die Kampagne der Schweizer Grünen, haben
wir die Merkmale der bestehenden Fan-Basis mit denen des durchschnittlichen
Grünwählers verglichen. Es zeigte sich zum Beispiel, dass Frauen bei den
Facebook-Fans nur knapp 30% ausmachten, obwohl sie über 50% der Grünwähler
stellen. Ein weiteres Potenzial ergab sich bei der Analyse der Sprachgruppen:
Während die Grünen im französischsprachigen Landesteil stärkere Wahlergebnisse
als im deutschsprachigen Raum erzielen, waren frankophone Schweizer im
Facebook-Publikum unterrepräsentiert. Wichtig für die Zielgruppendefinition
sind auch die „Interessen“, die ein Nutzer auf Facebook über sich preisgibt -
z.B. durch das „Liken“ anderer Facebook-Seiten. Als „Interessen” unserer Zielgruppe
wurden zum Beispiel politisch nahstehende zivilgesellschaftliche Organisationen
wie Greenpeace, WWF oder der Verkehrsclub ausgewählt, aber auch Kampagnenseiten
zu den häufig stattfindenden Volksabstimmungen (z.B. Nein zu Ecopop). Außerdem sollte man auch
unbedingt die „Lookalike”-Zielgruppenfunktion von Facebook nutzen. Darunter
fallen Facebook-Nutzer, deren Profile sehr ähnlich zu jenen sind, die bereits
die Seite „liken”.
Klare Kante bei den Botschaften
Ob man nun Fans von Greenpeace oder Transparency
International in die Zielgruppe mit aufnimmt, hängt letztlich vom Thema der
Anzeige ab. Die Erfahrung zeigt, dass Anzeigen zu einem konkreten Thema mit
einer klaren Aussage deutlich besser funktionieren, als allgemeine Botschaften
à la „Wir bringen das Land voran“. In die erste Anzeigenwelle der Grünen nahmen
wir klassische grüne Themen wie Tierschutz und Anti-Atomkraft; Themen, die mit
auf Facebook gut organisierten Zielgruppen korrespondieren (z.B. Rechte für
Schwulen und Lesben) und aktuelle „Aufregerthemen“ wie TTIP und Migration auf.
Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für eine vollständige Anzeigenkonfiguration.
Abbildung 2: Beispiel einer Anzeigenkonfiguration |
Unermüdliches testen
Kampagnenmotiv Rechte für Schwule und Lesben |
Wenn die Kampagne mit den ersten
Anzeigen gelauncht wurde, beginnt ein umfangreiches „Targeting“-Experiment. Die
Leistung der Anzeigen (d.h. wie viele „Likes“ eine Anzeige generiert), muss
täglich beobachtet werden. Zielgruppen müssen modifiziert werden.
Anzeigegrafiken ausgetauscht, Themen geändert und Botschaften müssen
umformuliert werden. Dazu muss man kein Voll-Geek sein, aber mindestens
Leidenschaft für die Datenanalyse mitbringen. Ziel dieser zeitaufwendigen
Anfangsphase ist es, rauszufinden, wie eine Anzeige konfiguriert sein muss
(Zielgruppe, Grafik, Text, Einblendung auf Computer und/oder Mobilgerät,
Einblendung in Timeline und/oder rechter Spalte), damit ein Maximum von
Facebook-Nutzern dazu bewegt wird, die eigene Seite zu „liken“. In der ersten
Hälfte der Schweizer Kampagne (10 Tage) wurden insgesamt 30
Anzeigenkonfigurationen getestet, um dann in der zweite Phase das Budget auf
die leistungsstärksten Anzeigen zu konzentrieren.
- Tierschutz war mit Abstand das erfolgreichste Thema, gefolgt von Homosexuellen-Rechtenund Anti-Atomkraft
- Unterschiede bei der Themenrelevanz ergaben sich allerdings zwischen den beiden Sprachgruppen - deutsch und französisch
- Motive mit emotionalen Bildern (süße Tierbilder und bedrohliche Atomkraftwerke) waren erfolgreicher als weniger emotionale Bilder. Die erfolgreichsten Zielgruppen schlossen
- Facebook-Nutzer ein, die auf Facebook mit zivilgesellschaftlichen Organisationen aus einem ähnlichen politischen Milieu verbunden sind
Die NZZ hatte bereits letzte Woche nach Hinweis dieses Blogs über die erfolgreiche Facebook-Kampagne berichtet.
Autor:
Johannes Hillje (Foto: privat) |
Webseite: www.johanneshillje.de
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