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Einer der Hauptgründe, warum viele Behörden noch
zögern, soziale Medien für ihre Außen- kommunikation zu nutzen, ist - gleich nach
der Ressourcenfrage und noch vor Datenschutz- bedenken - die Angst vor einem
„Shitstorm“, oder zumindest vor Wellen negativer Kommentare auf der eigenen
Facebook-Seite oder dem Twitter-Profil. Aus meiner Sicht als Social
Media-Managerin einer Bundesbehörde mit kritischen Themen, die schon einen
Shitstorm auf der eigenen Facebook-Seite erlebt hat, ist diese Angst aber
unbegründet. Warum? Das erkläre ich hier.
Fakt 1:
Shitstorms kommen äußerst selten vor – die meisten Behörden werden nie einen
erleben.
Fakt 2: Man kann sich auf Shitstorms vorbereiten.
Fakt 3: Shitstorms haben auch positive Folgen.
Fakt 2: Man kann sich auf Shitstorms vorbereiten.
Fakt 3: Shitstorms haben auch positive Folgen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist seit zwei Jahren mit einer Facebook-Seite aktiv. In
unserer einjährigen Konzeptphase zuvor waren die internen Ängste groß.
Schließlich verantworten wir mit Asyl und Integration zwei Themenfelder, die
viele Menschen bewegen – im positiven und im negativen Sinn. Wir stellten uns
als Amt die folgenden kritischen Fragen: Würden sich, sobald wir eine
Facebook-Seite eröffnen, nicht augenblicklich unsere Kritiker unserer Seite
bemächtigen? Würden unsere Fachabteilungen und das Presseteam künftig nichts anderes mehr zu tun haben, als
schnell und öffentlich Stellung auf Facebook beziehen zu müssen? Müssten wir künftig
auch nachts arbeiten? Würde Krisenkommunikation zum Tagesgeschäft werden? Und
wären wir auch noch selbst schuld daran, wie wir ja leichtsinnigerweise in die
bösen sozialen Medien gegangen sind?
Facebookseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge |
Doch diese
Ängste waren – zumindest größtenteils – unbegründet. In den ersten 12 Monaten
unserer Facebook-Präsenz bestand die Herausforderung eher darin, überhaupt
jemanden für unsere Inhalte zu interessieren und „Fans“ zu gewinnen. Der
Aufwand für die Moderation war in dieser Zeit eher gering. Ein durchgehendes
Monitoring (auch am Wochenende) erfolgte dennoch von Anfang an gewissenhaft.
Die Stimmung in unserer langsam wachsenden Community war von jeher eher
positiv, was damit zu tun hat, dass wir die Themen Migration und
gesellschaftliche Vielfalt (damals wie heute) positiv-emotional besetzen und
unseren Fans (vielen davon mit Migrationshintergrund) eine Mischung aus
Information, Unterhaltung, Diskussion und Service bieten.
Facebookbeitrag zum Artikel der Nürnberger Nachrichten |
Ein
„Shitstorm“ kam nach dem ersten Jahr dennoch, und zwar aus völlig unerwarteter
Richtung. An einem Freitag hatten wir einen Artikel der Nürnberger Nachrichten auf unserer Seite geteilt. Er handelte
von einer 4-köpfigen Familie mit dunkler Hautfarbe, die seit einem Jahr keine
Wohnung fand und von diskriminierenden Erfahrungen mit Nürnberger Vermietern
berichtete. Wir bezogen in unserem Beitrag
(wie schon häufiger zuvor) Position gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt
– und stellten uns auf den ein oder anderen Diskussionskommentar ein.
Normal waren damals rund fünf Kommentare unter unseren Beiträgen. In der Tat ließ der erste Kommentar nicht lange auf sich warten. Er stammte von einem männlichen User, der Verständnis für den Vermieter äußerte und sinngemäß darlegte, „Afrikaner“ könnten nun mal keine Ordnung halten und man sollte sie doch zunächst in speziellen Seminaren „europäisieren“. Wir überlegten in unserem Social Media-Team gerade, wie wir mit diesem rassistischen Kommentar umgehen sollten, da wies ihn unsere Community schon „in seine Schranken“ - mehrere Fans posteten Kommentare, dass sie „betroffen“ und „sprachlos“ seien und attestierten dem Kommentator einen „IQ unter 100“ (was natürlich auch gegen die Netiquette verstieß). Was uns dann aber stutzig machte, war der nächste Kommentar: „Arbeitet er tatsächlich beim Bundesamt? Das sollte man seinem Arbeitgeber melden.“ Auf die Idee waren wir in unserem Team nicht gekommen – aber ein Blick auf sein Privatprofil und ein interner Namensabgleich belegten es eindeutig: Der rassistische Beitrag stammte von einem der rund 2.600 Mitarbeiter aus unserem Haus.
Normal waren damals rund fünf Kommentare unter unseren Beiträgen. In der Tat ließ der erste Kommentar nicht lange auf sich warten. Er stammte von einem männlichen User, der Verständnis für den Vermieter äußerte und sinngemäß darlegte, „Afrikaner“ könnten nun mal keine Ordnung halten und man sollte sie doch zunächst in speziellen Seminaren „europäisieren“. Wir überlegten in unserem Social Media-Team gerade, wie wir mit diesem rassistischen Kommentar umgehen sollten, da wies ihn unsere Community schon „in seine Schranken“ - mehrere Fans posteten Kommentare, dass sie „betroffen“ und „sprachlos“ seien und attestierten dem Kommentator einen „IQ unter 100“ (was natürlich auch gegen die Netiquette verstieß). Was uns dann aber stutzig machte, war der nächste Kommentar: „Arbeitet er tatsächlich beim Bundesamt? Das sollte man seinem Arbeitgeber melden.“ Auf die Idee waren wir in unserem Team nicht gekommen – aber ein Blick auf sein Privatprofil und ein interner Namensabgleich belegten es eindeutig: Der rassistische Beitrag stammte von einem der rund 2.600 Mitarbeiter aus unserem Haus.
Dies
griffen nun immer mehr Seitenfans in ihren Kommentaren
auf, die Aufregung war groß. Auch bei
uns. Wir informierten an dieser Stelle unsere Vorgesetzten über den
Vorfall, die ihn sehr ernst nahmen und sofort entschieden, dass wir uns von dem
uns von einer anderen Behörde vorübergehend abgeordneten Mitarbeiter trennen
würden. Doch es war ein Brückentag zwischen Feiertag und Wochenende, und die
mitentscheidenden Stellen waren dünn besetzt – vor dem Wochenende ließ sich da
nichts mehr machen. Jedoch mussten wir irgendwie reagieren.
Kommentar mit Hinweis auf Mitarbeiter |
Inzwischen
kamen auf unserer Facebook-Seite Kommentare dazu, die die Seite des Vermieters
verteidigten. Da hieß es zum Beispiel, man habe selbst schon mal an „Afrikaner“
vermietet und auch schlechte Erfahrungen gemacht. Der Ton - von beiden Seiten -
wurde unfreundlicher. Bald zielte die Kritik nicht mehr nur auf unseren
Aushilfsmitarbeiter, sondern jeder bekam sein Fett weg – Vermieter, Mieter, das
Bundesamt, die Jobcenter, die Bundesregierung. Und auch die Nutzer
untereinander beschimpften sich. Wir mussten bereits einige Kommentare löschen.
Und posteten nun einen eigenen Kommentar: Wir bestätigten, dass es sich bei dem
Kommentator in der Tat um einen Aushilfsmitarbeiter unseres Amtes handelte,
erklärten aber auch, dass wir uns von seinen Kommentaren „aufs Schärfste“
distanzierten. Wir verblieben mit dem Hinweis, dass wir intern das weitere
Vorgehen prüfen und uns an dieser Stelle (also bei Facebook) nochmals dazu
melden würden. Dieser Kommentar wurde sehr positiv aufgenommen und vielfach
„geliked“. Dennoch kehrte keinesfalls Ruhe ein – zwar war das Bundesamt nicht
mehr Zielscheibe der folgenden Kommentare, doch die User stritten sich
untereinander, „Rechtsaußen“ und „Links“ nahmen sich dabei nichts. So ging es
den ganzen Freitag weiter. Unser Team inklusive mir sah nach dem eigentlichen
Feierabend daheim weiter Kommentare durch und kam nicht von Facebook los.
Artikel Hamburger Abendblatt |
Am Samstag
sahen wir, dass die Nürnberger Nachrichten von dem Vorfall Wind bekommen hatten
– von ihnen stammte ja der geteilte Artikel über die Familie. Ein
Online-Artikel, den sie sowohl auf ihrer Homepage, als auch auf ihrer
Facebook-Seite veröffentlichten, titelte: „BAMF-Mitarbeiter
auf Facebook: Europäisierung für Afrikaner“. Und dabei bliebt es nicht – auch
die überregionalen Medien griffen die Sache auf: Die Online-Ausgaben der Mainpost
und des Hamburger Abendblatts („Behörde muss rassistischen Kommentar auf Facebook erklären“) berichteten ebenfalls. Alle
verlinkten auf den Facebook-Beitrag und kündigten an, dass wir uns bald wieder
dazu äußern würden. Natürlich machte dies ein breiteres Publikum aufmerksam,
das umgehend auf unsere Seite klickte und mitdiskutierte.
Es wurde am
Samstag und auch am Sonntag also eher mehr als weniger. Unser Team inklusive
Chefin verbrachte einen Großteil des Wochenendes vor dem PC. Wir gründeten eine
WhatsApp-Gruppe und schickten uns Screenshots, um uns gegenseitig auf dem Laufenden
zu halten und darüber abzustimmen, welche Kommentare gelöscht wurden. Inzwischen
riefen uns User zu Hilfe, die von anderen (teils durch persönliche Nachrichten)
beleidigt wurden. User, wiederum deren Beiträge gelöscht worden waren, warfen
uns „Zensur“ vor. Und zu allem Überfluss mischte sich unser Aushilfsmitarbeiter
weiterhin in die Diskussion ein – und befeuerte sie weiter. Der Beitrag hatte seine damals bei uns
übliche Reichweite bereits um das 40-fache überschritten.
Facebook-Beitrag mit Erklärungen zum Fall |
Am
Montagmorgen, als wir alle wieder im Dienst waren, besprachen wir das weitere
Vorgehen. Unser Ziel war, möglichst schnell eine weitere Stellungnahme
abzugeben. Dazu war aber wichtig, dass wir das Aushilfsverhältnis in Absprache
mit der Ursprungsbehörde des Mitarbeiters tatsächlich aufgelöst bekamen und ihm
das auch offiziell mitteilten - denn kein Mitarbeiter darf personelle Maßnahmen
über Facebook erfahren. Uns lief ein wenig die Zeit davon, da wir nicht noch
weitere Tage sämtliche Manpower in
unsere Facebook-Seite stecken konnten. Wir bereiteten schon mal ein Statement
vor und warteten auf das „Go“ der Personalabteilung. Mittags war es soweit, und
wir posteten einen neuen Beitrag bei Facebook,
in dem wir mitteilten, dass der Kollege ab morgen nicht mehr für uns tätig sein
würde, da wir ein solches Verhalten keinesfalls dulden könnten und diese
Konsequenz unumgänglich gewesen sei. Wir wehrten uns in dem Beitrag auch gegen
den Vorwurf der Zensur und stellten klar, dass wir auch weiterhin auf das
Problem des Alltagsrassismus aufmerksam machen werden, bis dies irgendwann
hoffentlich nicht mehr notwendig sei.
Das Statement
wurde unglaublich gut angenommen – die meisten schienen positiv überrascht,
dass eine Behörde tatsächlich so schnell Konsequenzen zieht und gegen Rassismus
in den eigenen Reihen vorgeht. Innerhalb eines Tages wurde es zu unserem bis
dahin erfolgreichsten Beitrag. Es kamen noch viele Kommentare, auch der
„Gegenseite“ die aber nicht mehr so aggressiv waren.
Beitrag der taz |
Am nächsten
Tag berichteten nicht nur die Online-Zeitungen, sondern auch einige
Printausgaben, die Überschriften lauteten vereinfacht „Entlassung wegen Facebook-Post“ (taz), „Nach Rassismus-Eklat: BAMF wirft Mitarbeiter aus“(Nürnberger Nachrichten) und „Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wegen Rassismus entlassen“ (WAZ). Das
Bundesamt kam in allen Berichten gut bis neutral weg, an einer Stelle wurden
wir für unser konsequentes Vorgehen eindeutig gelobt.
Es kamen nun
nur noch wenige Kommentare. Der Shitstorm war vorbei. Vorsichtshalber posteten
wir in der Woche weniger Beiträge und wählten Themen ohne Diskussionspotenzial aus.
Wir befürchteten, dass die User, die sich am Shitstorm beteiligt hatten, nun
vielleicht dauerhaft mitdiskutieren würden – aber sie waren bereits von dannen
gezogen. Wir hatten ein paar hundert Fans mehr als vorher, die sich aber als
dem BAMF wohlgesonnen herausstellten.
Es hatte sich
nach ein paar Tagen also alles zum Positiven entwickelt. Das lag auch daran,
dass wir vieles richtig gemacht hatten - was ich hier ausschließlich auf die
Außenkommunikation in der „Krise“ beziehe. Was man tun sollte, wenn man
rassistische Mitarbeiter in den eigenen Reihen hat, steht auf einem anderen
Blatt und wäre Thema für einen weiteren Artikel. Im Rahmen der
Außenkommunikaton ist es jedenfalls am wichtigsten, ehrlich zu sein und schnell
und aktiv nach außen zu kommunizieren, welche Maßnahmen man ergreift, um das
Problem zu lösen – und das dann auch zu tun. Hätten wir an dem Freitag nicht
den „Zwischenkommentar“ gepostet, hätte die Aggression am Wochenende sich
sicher noch mehr gegen das Bundesamt gerichtet. Hätten wir keine Konsequenzen
(im echten Leben) gezogen, wären wir für alle Zeiten das Amt gewesen, das
offiziell die Vielfalt in unserer Gesellschaft beschwört, in Wahrheit aber
rassistisch ist. Hier lag wirklich eine Gefahr. Wichtig war auch, dass wir
lange vor dem Shitstorm interne Kommunikationswege für unsere sozialen Kanäle
festgelegt hatten und dass es bei uns Mitarbeiter und Vorgesetzte gibt, für die
klar ist, dass sie in so einem Fall auch am Wochenende mal Überstunden machen. Nun
konnten wir erproben, wie gut das im Ernstfall
funktioniert. Und nicht zuletzt hatten wir bereits eine treue Community
aufgebaut, die sich in den Tagen aktiv gegen rassistische und beleidigende
Kommentare engagierte.
Fanentwicklung Bundesamt für Migration und Flüchtlinge |
Das ist jetzt
ein halbes Jahr her. Wir haben inzwischen die fünffache Anzahl an Fans, legen
weiterhin kritisch den Finger in die Wunde, wenn es um Rassismus und andere
Migrationsthemen gibt, und 20 bis 30 Kommentare unter einem Beitrag sind keine
Seltenheit mehr. Die Stimmung ist meistens positiv – trotz Pegida! – und wir
mussten seither nur noch wenige Kommentare löschen oder User sperren. Wir
können unsere Facebook-Seite als vollen Erfolg bezeichnen. Den Shitstorm
verbuchen wir als wertvolle Erfahrung. Und seit drei Monaten twittern wir nun auch.
Aus Angst vor
einem Shitstorm nicht in den sozialen Medien zu kommunizieren, finde ich daher
falsch. Das ist, als ob man seine Freunde nicht einlädt, weil man Angst hat,
jemand könnte eventuell ein Getränk auf den Teppich schütten. Wenn es passiert,
muss man in den wenigen Tagen einfach nur richtig damit umgehen. Eine „Checkliste“
für die Vorbereitung und den Umgang mit einem Shitstorm (speziell für Behörden)
gibt es demnächst in meinem Blog „Amt 2.0“.
Autorin:
Christiane
Germann ist Social
Media-Managerin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Sie schult und berät Behörden und öffentliche Einrichtungen
bei der Einführung und Weiterentwicklung ihrer Außenkommunikation über Social Media.
In ihrem Fachblog „Amt 2.0 – Social Media in der öffentlichenVerwaltung“ (www.amtzweinull.com) gibt sie ihr Wissen aus Theorie und Praxis an
andere Verwaltungen weiter.
Christiane Germann, Foto: Torsten Hönig |
Liebe Christiane Germann,
AntwortenLöschenvielen Dank für den tollen Artikel und das ausführlich und gut beschriebene Beispiel.
Mit genau solchen Fragen befassen wir uns intern auch gerade. Auch bei uns ist die Angst vor einem Shitstorm die grösste.
Mit Ihrem Beispiel kann ich gut aufzeigen, dass es eben am wichtigsten ist, wie und in welcher Frist man reagiert. Dass man transparent kommunizieren und im Notfall Konsequenzen ziehen/durchsetzen muss, um glaubwürdig zu bleiben. Und welche Chancen das ganze (trotzdem) bietet.
Freundliche Grüsse
Diana Etter
Liebe Frau Etter,
AntwortenLöschenvielen Dank für Ihr Lob, dass ich sehr gerne an Christiane Germann weiterleite.
Freut uns, dass der Artikel konkret Ihre Arbeit for Ort in Graubünden unterstützt. Genau deshalb hatte ich das BAMF gebeten diese Geschichte mal für meinen Blog aufzuschreiben. Ich erlebe diese Ängste auch fast täglich in der Beratung, dieses Beispiel sollte sie nehmen ;)
Um so schöner, wenn das klappt!
Beste Grüße in die Schweiz
Martin Fuchs