Montag, 13. April 2015

Es gibt keine Shitstorms in der Politik

Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Seit dem Relaunch Anfang 2015 erscheint das Magazin in einer komplett runderneuerten Form. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe ist "Denken". Auch ich habe mir Gedanken gemacht und versuche die Angst vor Shitstorms zu nehmen.   

Hier das Cross-Posting dieser Kolumne. 

Manche Tweets und Kommentare verärgern, manche verletzten auch. Sehr. Es gibt auch Trolle im Netz,  deren Lebensinhalt nur darin besteht zu provozieren und aufzufallen. Und ja, manche Politiker – oder deren Unterstützer – inszenieren im Netz Kampagnen, die an Hetzjagden erinnern: Gezielt lassen sie Hass-Kommentar auf Hass-Kommentar folgen, Schmähkritik auf Schmähkritik. Doch trotz alledem bin ich der Meinung: Es gibt keine politischen Shitstorms! Und die Politik sollte deshalb keine Angst davor haben.

Cover "politik&kommunikation" Nr. 110
Allein der Begriff lässt jeden englischen Muttersprachler schmunzeln. Außerhalb von Deutschland kennt ihn niemand, Shitstorm wird dort allgemein für „unangenehme Situationen“ verwendet, die sich nicht auf die digitale Sphäre beschränken. In Deutschland hat der Begriff allerdings eine furiose Karriere hingelegt. Seit 2006 hat er sich vor allem durch die breite Medienberichterstattung in den Köpfen vieler Politiker eingenistet. Oft erlebe ich eine große Unsicherheit und Angst von politischen Akteuren bei der Nutzung von Social Media – Hauptgrund ist die Furcht vor einem Shitstorm. Könnte das meine Karriere beenden?, fragt sich manch einer.

Diese Angst lähmt nicht nur das Kommunikationsverhalten der Politik, es führt auch dazu, dass jede noch so berichtigte Kritik, die über digitale Kanäle geäußert wird, allzu schnell als „Shitstorm“ kategorisiert und – das ist das Fatale – damit ignoriert wird. Das ist der falsche Ansatz.

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass nur ein geringer Teil von Kritik an Politikern oder ihren Positionen wirklich Schmähkritik ist. Vieles von dem, was geäußert wird, hat einen konstruktiven Kern.

So schaffen es wenige professionelle Provokateure (Trolle), mit ihren aggressiven und beleidigenden Statements eine politische Diskussion zum Beispiel auf Facebook abzuwürgen. Das ist sehr schade. Denn über jede Kritik sollte sich ein Politiker freuen. Bedeutet sie doch, dass sich Bürger mit seinen Positionen und mit seiner Arbeit auseinandersetzen. Das schlimmste wäre doch für unsere Demokratie, dass das politische Handeln teilnahmslos an der Bevölkerung vorbei geht. Daraus entsteht Demokratie- und Politikverdrossenheit. 
 
Symbolfoto: Analoger Hass
Der oft zitierte Hass, der sich im Netz schneller verbreitet, war schon immer da. Das Internet macht ihn lediglich transparent. Das kann man gut oder schlecht finden, aber immerhin bekommen Politiker so einen Eindruck, wie Teile des Volkes über ihre Arbeit und das Ansehen von Politik und Demokratie denken. Nicht zuletzt, die durch das Netz mobilisierte PEGIDA-Bewegung zeigte, dass ein Teil der Bevölkerung das Vertrauen in Politik verloren hat. Auch wenn die Argumente und Sprüche auf Deutschlands Straßen und im Netz noch so krude und wirr waren, es macht deutlich dass man sich damit auseinandersetzen muss. Mehr noch: In Zukunft muss die Politik noch viel stärker die Gedanken und Gefühle der Bürger wahrnehmen – und auf diese eingehen. Ansonsten verliert die Demokratie ihre Basis: die Wähler. Unter anderem ein gutes digitales Monitoring könnte helfen.

Harte politische Arbeit bei Dr. Matthias Bartke (SPD), MdB
Politik ist immer auch politische Kommunikation. Und Kommunikation im Jahr 2015 bedeutet nicht, dass man in eine Einbahnstraße ruft und hofft, dass alle die Idee gut finden. Politiker sollten sich stärker auf den Dialog fokussieren. Politiker sollten ihre harten politischen Alltag präsentieren, sie sollten zeigen, wie kräftezehrend es ist, einen Kompromiss zu finden, sie sollten das politische System erklären – und all das sollten sie genauso wichtig nehmen wie ihre Arbeit in Ausschüssen, ihre Treffen mit Interessenvertretern, das Studieren von Positionspapieren.

Jeder Dialog baut die Angst vor dem „Shitstorm“ etwas mehr ab. Wenn Sie es schaffen eine digitale Community an sich zu binden, dann wird diese Sie auch in kritischen Situationen verteidigen. Das müssen sie dann gar nicht mehr selber tun.

Zudem empfehle ich ein gewisses Maß an Souveränität um Umgang mit Kritikern: Nach einiger Zeit kennt man die „üblichen Verdächtigen“, weiß, wer pöbeln möchte und wer eine politische Kampagne im Hintergrund hat. Man muss lernen, diese Kritik zu ignorieren. Dabei hilft eine klar formulierte Netiquette, die transparent auf den Social-Media-Profilen präsentiert werden muss. Jeder, der dagegen verstößt, wird kommentar- und diskussionslos gelöscht. Nur so kann jeder Politiker individuell die politische Diskussionskultur auf seinen Profilen steuern.

Screenshot
Netiquette der Bundesregierung auf Facebook
Ich wünschte mir beispielsweise auch, dass sich alle demokratischen Parteien in Deutschland zusammenschließen und eine Erklärung zur politischen Diskussionskultur formulieren. Sie sollten darin klar aufzeigen, wo die Grenzen von Kritik liegen. Bisher sehe ich weder in der Politik – noch in den Medien, die vor den gleichen Problemen stehen - eine gesamtgesellschaftliche Bereitschaft für solch einen Schritt.

Dabei müssen Kritiker lernen, dass sie ihre Kommentare vor dem Veröffentlichen mitunter überdenken sollten und dass nicht jede verletzende Aussage die politische Diskussion voranbringt. Diesen Lernprozess durchleben die Medien, die Politik aber auch andere Teile der Gesellschaft gerade.  
Zudem wünschte ich mir mehr Souveränität im Umgang mit Trollen. Man kann Kommentare löschen – ihnen aber auch mit leichter Ironie begegnen. Die CDU versucht gerade, die guten Erfahrungen von WELT, Tagesschau und anderen Medien zu nutzen und stärker mit diesem Stilmittel zu arbeiten. Nachahmenswert,  finde ich.
 
Nicht zu vergessen: Für jede verletzende Schmähkritik gibt es Gesetze in Deutschland. Diese sollten  von den Betroffenen öfter genutzt werden.

Und zu guter Letzt ein smarter Hinweis von Regierungs-Twitterer Steffen Seibert. Bereits 2012 erklärte er, wie er mit allzu grenzwertiger Kritik im Netz umgeht: Twitter aus, Rechner aus und am nächsten Tag beginnt das Leben wieder bei 0. Aber, meine Hoffnung: In wenigen Jahren werden wir über Shitstorms ohnehin nicht mehr reden.   

Haben Sie keine Angst vor den Gedanken ihrer Bürger, wagen sie sich auch weiterhin in Dialoge. Es zahlt sich aus.   

Ergänzung eins
Und wenn man doch mal in einen seltenen Shitstorm gerät, gibt es Wege diesen zu begegnen. Christiane Germann hatte vor einigen Wochen in diesem Blog beschrieben, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit einem Shitstorm souverän und erfolgreich umgegangen ist.

Ergänzung zwei
Danke an Christian Salzborn, der mich richtigerweise darauf hingewiesen hat, dass ich definitorisch nicht ganz sauber formuliert habe. Es gibt einen Unterschied zwischen Shitstorms und Flamwars

Tipp:
Unter dem Titel "Erregungskampagnen in Politik und Wirtschaft - Digitale Öffentlichkeit zwischen Candy- und Shitstorms"(.pdf)  haben Prof. Caja Thimm (Universität Bonn) und Prof. Christoph Bieber (Universität Duisburg-Essen) für die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) vor kurzem eine Studie vorgelegt, die sich auch mit Shitstorms in der Politik beschäftigt und u.a. der Frage nachgeht wie man darauf reagieren sollte und welche Konsequenzen Shitstorms für die politischen Akteure haben.

3 Kommentare:

  1. Zunächst; warum muss ich meinen Kommentar nochmal schreiben? Was ist denn das für eine Kommentareinstellung? Der ein oder andere wird jetzt aber Dampf ablassen ^^

    Doch wollte ich eigentlich Lob für den Beitrag senden, jedoch auch auf begriffliche Ungenauigkeiten hinweisen. So ist ein Shitstorm nicht mit dem Flamewar gleichzusetzen. So beinhaltet ein Shitstorm ad definitionem durchaus nachvollziehbare Kritik; nur ein Flamewar ist voller Hass - grundsätzlich reden viele (nicht nur in diesem Beitrag) über Flamewars, nicht über Shitstorms (siehe ausfürhrlich: http://my-shitstorm-diss.tumblr.com/post/116375778781/horrorstories-aus-der-realitaet)! Shitstorms wird es ebenso immer geben, denn sie sind Ausdruck der digitalen Meinungsäußerung und können ebenso wie die Krise auch eine Chance für den Betroffenen bieten, Änderungen umzusetzen. Dafür bedarf es aber der Einsicht, dass ein Shitstorm KEINE Summe vieler Hasstiraden und Beleidigungen ist.

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  2. Liebert Dr. Shitstorm ;) danke für das doppelte kommentieren (Sorry, ich weiß auch nicht woran das liegt, Google hat da wohl wieder ein paar Probleme bei blogger.com?) .

    Und noch mehr Dank für Deinen richtigen & wichtigen Hinweis. Die definitorische Unterscheidung ist mir bekannt, nur eben leider weder in großen Teilen der Politik und der Medien. Deshalb habe ich das umgangssprachliche Shitstorm-Wording verwendet, um darauf hinzuweisen das Shitstorm nicht gleich Shitstorm ist. Deine Unterscheidung ist soeben zudem ergänzt ;)

    Bin gespannt auf Deine Dissertation. Sehr gerne dann auch hier als Gastbeutrag im Blog, wenn Du magst?

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    1. Hallo Martin,

      danke für die offene Antwort und den Nachtrag. Dein Beitrag ist sehr gut und in vielen Punkten wahr, daher waren meine Anmerkungen ausschließlich Details, die sich Alademiker schwer verkneifen können ^^ Gerne komme ich nach Veröffentlichung auf dich zu. VG

      PS: "Dr. Shitstorm" ist übrigens nicht von mir, sondern der Titel eines alten Interviews in der W&V ^^

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