Dies
ist ein Gastbeitrag von Patricia Müller
vom Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft
an der Technischen Universität Ilmenau. Der vorliegende Text basiert
auf dem Vortrag „Just feeling being informed? – Social Network
Sites und tatsächliches und wahrgenommenes politisches Wissen“,
gehalten am 14. Mai 2015 auf der DGPuK-Jahrestagung in Darmstadt.
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Eines
ist nur wenig strittig: Ein „guter Bürger“ sollte informiert
sein, damit er sich am politischen Diskurs beteiligen und seinen
Interessen und Einstellungen entsprechende Wahl- entscheidungen treffen
kann. Die meisten politischen Themen entziehen sich allerdings der
direkten Erfahrbarkeit: Um Kenntnisse über politische Prozesse,
Akteure und verhandelte Inhalte wie die Energiewende oder
Steuerreformen zu vermitteln, spielen vor allem professionelle
journalistische Nachrichtenmedien eine wichtige Rolle. Nun sehen wir,
dass – gerade bei jungen Erwachsenen – zunehmend Social Media,
und hier insbesondere die Social Network Sites (SNS) genutzt werden,
um sich über aktuelle Nachrichten zu informieren.
Nutzer
erhalten auf Facebook, Twitter und Co. Nachrichten in ihrem
persönlichen news
stream.
Darunter
können
neben
allerhand Privatem, durchaus auch gesellschaftlich relevante
Nachrichten sein. Sei
es, weil Nutzer selbst Nachrichtenanbieter wie SPIEGEL ONLINE oder
Bild abonniert haben oder aber weil ihre Freunde Links zu den
Medienbeiträgen teilen. So werden Beiträge zum aktuellen
politischen Geschehen teilweise nur zufällig gesehen
– was zwar nicht unbedingt der Idealvorstellung einer gezielten
Informationssuche entspricht, aber erst mal unproblematisch ist,
solange man Ende trotzdem gut informiert ist.
Die
Frage, die sich stellt, lautet also: Hängt
die Nutzung von Social Network Sites, um sich über aktuelle
Nachrichten zu informieren, wirklich mit politischem Wissen1 zusammen
oder erzeugt sie nicht vielmehr nur ein Gefühl, ausreichend
informiert zu sein?
Dieses selbst-wahrgenommene Wissen muss nicht unbedingt mit
tatsächlichem Faktenwissen zu politischen Themen oder Akteuren
zusammenhängen. So wird eine Diskrepanz auch als „Illusion
of Knowing“
bezeichnet (Park, 2001, S. 420). Heterogene, personalisierte news
streams,
wie sie auf Facebook und Twitter rezipiert werden, stehen dabei im
Verdacht, eine überschätzende Illusion
of Knowing zu
begünstigen. Dem gehen wir mittels einer online-repräsentativen
Befragung unter 16-29-Jährigen in Deutschland nach, deren Wissen zu
innenpolitischen Themen und Akteuren ermittelt wurde. Vorab schätzten
die Befragten ein, wie viel sie glauben, über das Themenfeld
Innenpolitik
zu
wissen.
„Übliche Verdächtige“ – Interesse, Bildung und klassische Nachrichtennutzung am wichtigsten für politisches Wissen
Zunächst
werfen wir einen Blick darauf, wie Nachrichtennutzung und andere
wichtige Faktoren wie die formale Bildung oder das Interesse an
Innenpolitik mit dem tatsächlichen Wissen, also dem Abschneiden bei
den gestellten Wissensfragen zusammenhängen2. Die aus zahlreichen
früheren Studien (vgl. z.B. Maier, 2009 für einen Überblick)
bekannten und gut belegten „üblichen Verdächtigen“ hohe Bildung
und hohes politisches Interesse gehen auch hier mit einer höheren
Informiertheit einher. Dieses Bild setzt sich bei der
Nachrichtennutzung fort: Junge Menschen, die regelmäßig bei den
öffentlich-rechtlichen TV-Sendern einschalten oder
Nachrichtenwebsites wie SPIEGEL ONLINE besuchen, wissen mehr über
Innenpolitik. Demgegenüber weisen diejenigen, die häufiger soziale
Onlinenetzwerke wie Facebook nutzen, um von Freunden oder abonnierten
Nachrichtenfanpages über das aktuelle politische Geschehen auf dem
Laufenden gehalten zu werden, sogar signifikant weniger Wissen auf
(vgl. Abb. 1).
Anmerkung:
Abgebildet sind die Gruppenmittelwerte für diejenigen Befragten, die
Nachrichtenwebsites bzw. SNS, um aktuelle, politische Nachrichten zu
erhalten mind. mehrmals wöchentlich nutzen (Vielnutzer) gegenüber
denjenigen, die dies nur mehrmals im Monat oder seltener tun
(Wenignutzer).
Schaut
man sich das selbst-wahrgenommene Wissen an, fällt auf, dass sich
diejenigen als informierter einschätzen, die sich für Innenpolitik
interessieren und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen informieren.
Twitter-Nutzer, die auf dem Microblogging-Dienst aktuelle Nachrichten
lesen, schätzen sich ebenfalls als informierter ein.
Twitter und SNS als Nachrichtenquelle? Tendenz zur Wissensüberschätzung!
Bereits
der Blick auf die Korrelate objektiven und selbst-wahrgenommenen
Wissens deutet also auf interessante Unterschiede zwischen Social
Media und genuinen Nachrichtenangeboten. Was wir bisher noch nicht
sagen können, ist, was dazu beiträgt, dass das tatsächliche Wissen
überschätzt wird – also eine Illusion
of Knowing erzeugt.
Dazu haben wir die Differenz zwischen tatsächlichem und
selbst-wahrgenommenem Wissen als abhängige Variable betrachtet.
Entsprechend bisheriger Forschung in diesem Bereich stellen auch wir
fest, dass niedriger gebildete junge Menschen sowie diejenigen, die
sich stark für Innenpolitik interessieren, ihr tatsächliches Wissen
eher überschätzen. Viel spannender ist jedoch, dass dies auch auf
diejenigen zutrifft, die Twitter nutzen, um sich über aktuelle
Nachrichten zu informieren oder SNS wie Facebook, um dort von ihren
Freunden oder abonnierten Nachrichtenmedien politische Nachrichten zu
erhalten (vgl. Abb.2).
Abb. 2 „Illusion of Knowing“ bei Twitter- und SNS-Nutzern |
Anmerkung:
Abgebildet sind die Gruppenmittelwerte der Differenzvariablen.
Lesehilfe:
Werte über Null zeigen eine Überschätzung des tatsächlichen
Wissens auf, Werte darunter eine Unterschätzung. Je näher der Wert
an null liegt, desto geringer ist die Abweichung zwischen
tatsächlichem und selbst-wahrgenommenen Wissen.
Fazit
Wer
sich hauptsächlich bei Facebook und Twitter über Nachrichten
informiert, scheint sein Wissen zu überschätzen. Möglicherweise
verlassen sich die Nutzer (zu) stark darauf, dass sie in ihrem
persönlichen news
stream
bereits alle relevanten Nachrichten mitbekommen, erlangen dabei
jedoch nur einen eingeschränkten Einblick in das politische
Geschehen. Zudem ist es gerade auf Twitter nicht selten, dass Nutzer
gleich mehreren Nachrichtenmedien folgen. Der regelmäßige Kontakt
mit verschiedenen „Informationshappen“ stärkt offenbar zwar das
Gefühl, gut informiert zu sein, kann aber einer tiefergehenden
Nachrichtenrezeption sprichwörtlich nicht das Wasser reichen.
Nun ist Innenpolitik ein weites Feld und so kann eingewandt werden, dass die Ergebnisse bei eng gefassten Themen, für die bestenfalls auch klar ist, dass sie im Social Web stark thematisiert werden wie die Netzpolitik, möglicherweise anders ausfallen. Es gilt also, die Befunde – idealerweise in Längsschnittuntersuchungen, die auch kausale Rückschlüsse erlauben – zu bestätigen. Daneben erscheint es sinnvoll, nicht nur einzelne Angebote gegeneinander auszuspielen, sondern auch einzubeziehen, ob und inwiefern Social Media in übergeordnete Informationsrepertoires eingebettet sind – verlassen sich doch die wenigsten jungen Menschen nur auf einzelne Kanäle. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, was überschätztes Wissen schließlich bedeutet, beispielsweise für weiterführende Informationssuche und letztlich auch politische Beteiligung und potentielle Wahlentscheidungen.
Nun ist Innenpolitik ein weites Feld und so kann eingewandt werden, dass die Ergebnisse bei eng gefassten Themen, für die bestenfalls auch klar ist, dass sie im Social Web stark thematisiert werden wie die Netzpolitik, möglicherweise anders ausfallen. Es gilt also, die Befunde – idealerweise in Längsschnittuntersuchungen, die auch kausale Rückschlüsse erlauben – zu bestätigen. Daneben erscheint es sinnvoll, nicht nur einzelne Angebote gegeneinander auszuspielen, sondern auch einzubeziehen, ob und inwiefern Social Media in übergeordnete Informationsrepertoires eingebettet sind – verlassen sich doch die wenigsten jungen Menschen nur auf einzelne Kanäle. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, was überschätztes Wissen schließlich bedeutet, beispielsweise für weiterführende Informationssuche und letztlich auch politische Beteiligung und potentielle Wahlentscheidungen.
Autorin
Patricia Müller |
Patricia Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet PR und Technikkommunikation am Institut für Medien und
Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Ilmenau. In
ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem Zusammenhang von
Nachrichtennutzung – mit Fokus auf Social Media – und politischem
Wissen bei jungen Menschen.
Literatur
Maier,
J. (2009). Was die Bürger über Politik (nicht) wissen - und
was die Massenmedien damit zu tun haben -
ein Forschungsüberblick. In
F. Marcinkowski & B. Pfetsch (Eds.), PVS
- Politische Vierteljahresschrift:
Sonderheft 42/2009. Politik in der
Mediendemokratie (pp. 393–414).
Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
Park,
C.-Y. (2001). News Media Exposure and Self-Perceived Knowledge: The
Illusion of Knowing. International
Journal of Public Opinion Research, 13(4),
419–425.
_______________________________________________
1 Innerhalb der kommunikationswissenschaftlichen Forschung ist nach wie vor umstritten, wie man politisches Wissen eigentlich definieren und messen soll (Maier, 2009, S. 394). An dieser Stelle kann diese Diskussion noch geführt werden. Wir beziehen uns in diesem Beitrag auf Faktenwissen zu politischen Themen und Akteuren und verwenden den Begriff synonym zu politischer Informiertheit.
2
Alle im Beitrag präsentierten Ergebnisse beruhen auf
Regressionsanalysen, um signifikante Prädiktoren für politisches Wissen,
selbst-wahrgenommenes Wissen und „Illusion of Knowing“ zu
ermitteln (n=527; Befragte, die für die Beantwortung der
Wissensfragen länger als 35 Sekunden brauchten, wurden
ausgeschlossen).
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