Dies ist ein
Gastbeitrag von Dr. Christian Salzborn. Der Text basiert auf seiner
Doktorarbeit über das Phänomen Shitstorm in der Unternehmenswelt.
Seine Ergebnisse lassen sich in vielen Fällen auch auf die Politik
anwenden.*
DER SHITSTORM LEBT
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Bis heute hat der
Shitstorm – gegenüber andersläufiger Meinungen, die einen
„Mythos“ am Ende sehen, oder eine „Post-Shitstorm-Ära“
ausrufen – nichts von seiner Häufigkeit und Bedeutung verloren.
Unternehmen sowie politische Organisationen sehen sich nahezu täglich
gehäufter Kritik im Netz ausgesetzt; Nutzer löschen immer noch ihre
Accounts auf Facebook und Twitter, um den teilweise schmähenden und
beleidigenden Kommentaren zu entgehen. Der Shitstorm ist alles andere
als tot. Er ist lebendiger denn je; wobei er von der weitaus
schlimmeren Hatespeech und dem Flamewar abzugrenzen ist (weiterführend Salzborn
2015).
TYPEN DES STURMS
Screenshot Doktorarbeit Dr. Christian Salzborn |
Die Auslöser
dieses Unmutes sind vielfältig. Oft sind es die Politiker selbst,
die in ein Fettnäpfchen springen ohne dass im Vorfeld Anlass zur
Kritik bestanden hätte (Typ I „Der plötzlicher Sturm“). Andere
hingegen handeln ungeschickt in einem bereits brodelnden
Krisenkessel, wie es Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) im Rahmen der
Vorratsspeicherung tat (Typ II „Die schwelende Empörung“). In
der aktuellen Flüchtlingsdebatte gut zu beobachten ist der dritte
Typ eines Shitstorms (Typ III „Der gesellschaftliche Pranger“), bei dem
sich der Inhalt von der eigentlichen Verfehlung des Adressaten löst
und gesellschaftlich relevante Themen mit teilweise stark normativem
Bezug diskutiert werden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird von vielen für ihre „offene
Politik“ gelobt, sieht sich aber ebenso starker Kritik nicht nur in
der eigenen Partei, sondern auch im Netz gegenüber. Dabei geht es
nicht nur darum, ob die Kanzlerin alles richtig macht, sondern um den
allgemeinen Umgang mit den Flüchtlingen, was schnell zu einer
Debatte über die Frage, was Menschlichkeit in heutigen Zeiten
bedeutet, führt.
Typ I „Der plötzliche Sturm“ |
Bricht ebenso schnell aus wie er
aufhört. Ein kritisches Thema liegt im Vorfeld nicht vor. Der
Sturm ist oft selbst verschuldet und überrascht den Adressaten.
Meist besteht nur wenig Interesse an dem Fall in den Online- und
Offlinemedien.
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Typ II „Die schwelende Empörung“ |
Im Vorfeld liegt bereits ein
kritischer Themenkontext vor. Der Sturm wird innerhalb dieses
Kontextes durch Eigenverschulden oder Dritte ausgelöst. Das
Interesse der Medien an dem Fall steigt.
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Typ III „Der gesellschaftliche Pranger“ |
Auch hier liegt ein bestehender
Krisenkontext vor. Das Thema erreicht aber eine Gesellschaftsebene
(z.B. Menschenrechte, Tierschutz, etc.), die losgelöst von dem
Adressaten vom allgemeinen Interesse ist. Medien online wie
offline interessieren sich für den Fall.
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Tabelle 1.:
Shitstorm-Typen (ausführlich in Salzborn 2015)
FOLGEN?
Haben Shitstorms
Folgen für den betroffenen Politiker? Schaut man sich einzelne Fälle
an, dann lässt sich die Frage zunächst klar mit Nein beantworten.
Kein Minister ist bisher ausschließlich aufgrund eines Shitstorms
zurückgetreten; kein Kanzler musste seinen Hut nehmen. Nachhaltige
Folgen sind bis heute nicht nachweisbar. Jedoch kann die kurzfristige
Reputation eines Politikers zur Zeit des Sturms stark angegriffen
werden; ebenso wie es auch Unternehmen ergeht, die sich einem
Shitstorm gegenüber sehen (s. Abb.).
Abbildung 1: Kurzfristige Reputationsfolgen (erhoben bei n= 40 untersuchte
Unternehmens-Shitstorms; ausführlich in Salzborn 2015)
Hohn und Spott
ergießen sich über den Adressaten. Für einen kurzen Zeitraum sind
sie im Mittelpunkt des Interesses; Marionetten auf der digitalen
Bühne. So wie es Regierungssprecher Steffen Seibert erleben musste,
dessen Obama-Tweet zahlreichen Spott im Netz nach sich zog und es
auch in zahlreiche Nachrichtenformate schaffte.
Tweet Steffen Seibert (@regsprecher) |
Fazit
Der Shitstorm ist ein Gast, den keiner gerne sieht, der aber seine Meinung sagt, wenn das Essen zu kalt, der Wein zu warm oder die Musik zu laut ist. Und daher brauchen wir das Phänomen auch weiterhin. Denn in jedem Shitstorm steckt immer auch ein Fünkchen Wahrheit. Und wer es schafft, darauf zu hören, auch mal zwischen den Zeilen zu lesen, der hat das Phänomen Shitstorm verstanden, weil er zuhört – und das macht schließlich auch einen guten Politiker aus.
Autor
Dr. Christian Salzborn |
Twitter: @tweetdr85
*Literatur
Salzborn,
Christian (2015): Phänomen Shitstorm - Herausforderung für die
Onlinekrisenkommunikation von Unternehmen. Hohenheim (Dissertation).
Online unter: http://opus.uni-hohenheim.de/volltexte/2015/1110/
(CC-Lizenz)
Und was ist mit dem Rücktritt Julia Schramms? Geht der nicht auf einen Shitstorm zurück?
AntwortenLöschenHallo. Guter Einwand. Frau Schramm ist aufgrund akuter Hatespeech bzw. Flamewar zurück getreten. Ein schönes Beispiel wie aus Shitstorms die viel schlimmere Hatespeech werden kann, wenn der kritische Bestandteil verschwindet und nur noch Diffamierung und Häme übrig bleiben. Justin Sacco ist ein ähnlicher Fall. Das die Medien wie auch die generelle PR Welt diese Unterscheidung negiert und alles ein Shitstorm wird, ist traurig. VG
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