Dies ist ein Gastbeitrag von Johannes Hillje. Er leitete den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei im Jahr 2014 und berät die Grüne Partei der Schweiz im aktuellen Wahlkampf.
Tinder, eine schmuddelige Dating-App aus der Nische? Schon lange nicht mehr. Weil auf Tinder jeden Tag, über 50 Millionen User stolze 1.6 Milliarden Profile “durchwischen”, hat die App schon längst das Interesse der PR-Szene geweckt. Sixt, Domino's Pizza, Gillette oder zuletzt McDonald's in Australien warben auf der Plattform im Guerilla-Stil - offizielle Werbeflächen bietet die App noch nicht an.
Doch bei Tinder geht es nicht um Produkte, sondern um Köpfe. Darum es geht im Wahlkampf auch. Und beim Online-Wahlkampf geht es insbesondere darum, in jene Netzwerke zu gehen, in denen sich die Zielgruppe vorzugsweise aufhält. Bei Tinder sind das vorwiegend junge Menschen. Gründe genug, um Tinder als Werkzeug im Wahlkampf zu testen. Das hat Aline Trede (Jahrgang 1983), Mitglied des Schweizer Nationalrats für die Grünen, knapp drei Wochen vor dem Urnengang (18. Oktober 2015) getan.
Die Strategie war simpel: Aline hat sich auf ihrem Profilfoto klar und deutlich als Kandidatin zu erkennen gegeben. Ein eigens für die Tinder-Kampagne entwickelter Slogan nahm die Sprache der Dating-App auf („Grünes Herz. Gegen Rechts“). Aline lies sich männliche und weibliche User aus ihrem Wahlbezirk (Kanton Bern) anzeigen. Sie hat bei jedem User das grüne Herz gedrückt, was bei Tinder das Äquivalent zu “Like” auf Facebook ist. Wenn sie ein grünes Herz zurückbekommen hat, durfte sie mit ihrem “Match” chatten. Dann hat sie nicht lange drumherum geredet: “Lass uns doch möglichst bald treffen. Wie wär’s am nächsten Donnerstag? Ich lade Dich zum “Bier mit mir” ein!“
„Ein Bier mit mir“ ist gewissermaßen Alines monatliche Bürgersprechstunde, bei der sie interessierte Bürger zum Diskutieren in eine Berner Kneipe einlädt. Tinder diente also zur Mobilisierung für Alines letzte Bürgersprechstunde vor der Wahl.
Nach der Aktivierung von Alines Profil, wurde das Tinder-Experiment zum „Wahlkampf-Quicky“: Schnell, aber effektiv. Nach kurzer Zeit standen rund 30 Matches zu Buche. Aline verschickte 20 Einladungen zum Bier-Date. Die gematchten Personen reagierten überwältigend positiv auf den überraschenden Chat mit der Politikerin. Aber dann: Nach einer Stunde war Alines Profil gesperrt. Tinder zeigte eine Standardnachricht an: Mehrere User hätten das Profil gemeldet, daher werde es überprüft.
Schon bevor Aline auf Tinder „live“ gegangen ist, hatten mehrere Journalisten Interesse an dem in der Schweiz noch nie erprobten Wahlkampfinstrument angemeldet. Interviews waren für den Launch der Tinder-Kampagne bereits abgemacht. Mit der vorübergehenden Sperrung des Profils nahm das Medieninteresse aber noch einmal gewaltig zu. Tags darauf war Aline die Aufmacherstory von 20minuten.ch, die Webseite der meistgelesenen Schweizer Tageszeitung. Interviews im Fernsehen und bei mehreren Radiosendern folgten. Inhaltlich variierte die Berichterstattung: Viele Medien präsentierten das Wahlkampfformat als innovativ, erwähnten aber auch den vermeintlichen Unmut mancher User. Andere Journalisten solidarisierten sich gar mit Aline und versuchten bei Tinder selbst herauszufinden, warum das Konto gesperrt wurde. Auch das dahinter eine konzertierte Aktion von politischen Gegnern stand, wurde vermutet. Die Reaktionen auf die Medienberichte waren erneut positiv. Insbesondere von jungen Menschen und Digitalcampaignern erntete Aline viel Lob.
Fazit des Tinder-Wahlkampfs: Viel Wirkung für wenig Aufwand. Auf der Plusseite steht ein großes Medieninteresse, das einer jungen Grünpolitikerin ansonsten nur sehr selten zu Teil wird. Außerdem: Zum „Bier mit mir“ kamen tatsächliche einige Tinder-Matches. Diese jungen Leute hätte Aline auf andere Weise wohl kaum erreicht. Auf der Minusseite steht eine ohnmächtig anmutende Auslieferung gegenüber Tinder, da das Unternehmen innerhalb von fünf Tagen (bis zum „Bier mit mir“-Event) nicht auf die Kontosperrung reagierte. Auch wurde möglicherweise tatsächlich manch ein Tinder-User verärgert. Um grüne Wähler handelte es sich bei denen aber sehr wahrscheinlich sowieso nicht.
Anmerkung Martin Fuchs:
Der Tinder-Einsatz von Aline Trede ist eine Premiere im deutschsprachigen Raum. Zuvor wurde Tinder aber bereits von einer Kandidatin aus den Niederlanden im Europawahlkampf 2014, von einer Bürgermeisterkandidatin aus Spanien und einem jungen Kommunalpolitiker aus Kanada im Wahlkampf genutzt.
Update: Auch die NEOS nutzen Tinder im österreichischen Wahlkampf 2015.
Autor:
Johannes Hillje arbeitet als Politikberater in Berlin und Brüssel. 2014
leitete er den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei. Davor
arbeitete er für das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in New York im
Bereich "Global Campaigning/ Communications". Hillje studierte "Politics
& Communication" an der London School of Economics (LSE) und
Politikwissenschaft und Publizistik an der
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.
Logo der Dating-App Tinder |
Eine Stunde Tinder-Wahlkampf
Tinder, eine schmuddelige Dating-App aus der Nische? Schon lange nicht mehr. Weil auf Tinder jeden Tag, über 50 Millionen User stolze 1.6 Milliarden Profile “durchwischen”, hat die App schon längst das Interesse der PR-Szene geweckt. Sixt, Domino's Pizza, Gillette oder zuletzt McDonald's in Australien warben auf der Plattform im Guerilla-Stil - offizielle Werbeflächen bietet die App noch nicht an.
Doch bei Tinder geht es nicht um Produkte, sondern um Köpfe. Darum es geht im Wahlkampf auch. Und beim Online-Wahlkampf geht es insbesondere darum, in jene Netzwerke zu gehen, in denen sich die Zielgruppe vorzugsweise aufhält. Bei Tinder sind das vorwiegend junge Menschen. Gründe genug, um Tinder als Werkzeug im Wahlkampf zu testen. Das hat Aline Trede (Jahrgang 1983), Mitglied des Schweizer Nationalrats für die Grünen, knapp drei Wochen vor dem Urnengang (18. Oktober 2015) getan.
Grünes Herz für grüne Kandidatin
Aline Trede auf alinetrede.de |
„Ein Bier mit mir“ ist gewissermaßen Alines monatliche Bürgersprechstunde, bei der sie interessierte Bürger zum Diskutieren in eine Berner Kneipe einlädt. Tinder diente also zur Mobilisierung für Alines letzte Bürgersprechstunde vor der Wahl.
Nach der Aktivierung von Alines Profil, wurde das Tinder-Experiment zum „Wahlkampf-Quicky“: Schnell, aber effektiv. Nach kurzer Zeit standen rund 30 Matches zu Buche. Aline verschickte 20 Einladungen zum Bier-Date. Die gematchten Personen reagierten überwältigend positiv auf den überraschenden Chat mit der Politikerin. Aber dann: Nach einer Stunde war Alines Profil gesperrt. Tinder zeigte eine Standardnachricht an: Mehrere User hätten das Profil gemeldet, daher werde es überprüft.
Profil-Sperrung macht Schlagzeilen
Tinder-Profilfoto Aline Trede |
Viel Wirkung für wenig Aufwand
Fazit des Tinder-Wahlkampfs: Viel Wirkung für wenig Aufwand. Auf der Plusseite steht ein großes Medieninteresse, das einer jungen Grünpolitikerin ansonsten nur sehr selten zu Teil wird. Außerdem: Zum „Bier mit mir“ kamen tatsächliche einige Tinder-Matches. Diese jungen Leute hätte Aline auf andere Weise wohl kaum erreicht. Auf der Minusseite steht eine ohnmächtig anmutende Auslieferung gegenüber Tinder, da das Unternehmen innerhalb von fünf Tagen (bis zum „Bier mit mir“-Event) nicht auf die Kontosperrung reagierte. Auch wurde möglicherweise tatsächlich manch ein Tinder-User verärgert. Um grüne Wähler handelte es sich bei denen aber sehr wahrscheinlich sowieso nicht.
Anmerkung Martin Fuchs:
Der Tinder-Einsatz von Aline Trede ist eine Premiere im deutschsprachigen Raum. Zuvor wurde Tinder aber bereits von einer Kandidatin aus den Niederlanden im Europawahlkampf 2014, von einer Bürgermeisterkandidatin aus Spanien und einem jungen Kommunalpolitiker aus Kanada im Wahlkampf genutzt.
Update: Auch die NEOS nutzen Tinder im österreichischen Wahlkampf 2015.
Autor:
Johannes Hillje (Foto: European Green Party) |
Webseite: www.johanneshillje.de
Mutig und etwas anderes, besonders wenn die Zielgruppe eher junge Leute sind. Dann sollte man auch deren Wege gehen und die Politikerin hatte damit wohl auch Erfolg - bis der Account gesperrt wurde.
AntwortenLöschenMutig und etwas anderes, besonders wenn die Zielgruppe eher junge Leute sind. Dann sollte man auch deren Wege gehen und die Politikerin hatte damit wohl auch Erfolg - bis der Account gesperrt wurde.
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