Wahlbeobachter in den Medien

Dienstag, 31. Mai 2016

"Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch, Herr Präsident" - Dürfen Politiker Emotionen via Social Media zeigen?

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Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe 2016 ist "Emotionen". Meine Kolumne zur Frage, wie emotional Politiker auf facebook und Twitter sein dürfen.

Hier das Crossposting dieser Kolumne.

Sie sind ein Arschloch ;)“ - Das antwortete CDU-Generalsekretär Dr. PeterTauber Anfang Januar einem Dauernörgler auf seiner Facebookseite. Diese vier Worte führten zu einer tagelangen Diskussion - auch in der CDU: Parteifreunde kritisierten dieses Verhalten.

Dürfen und sollen also Politiker in sozialen Netzwerken emotional auftreten?


Sie sind ein Arschloch
Facebook-Kommentar Dr. Peter Tauber
Der Ausdruck “Arschloch” ist spätestens seit 1984 offiziell in die politische Debatte eingeführt. Damals sagte Joschka Fischers im Bundestag: "Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch, Herr Präsident!”. Seitdem gilt es als geflügeltes Wort. Deswegen verwenden viele Deutsche diesen Ausdruck ganz selbstverständlich im Alltag, auch wenn sie mit den Positionen des Grünen nie etwas anfangen konnten. Die Wortgruppe gehört zum bundesdeutschen Diskussionskanon und wird auch zukünftig vielen als Anekdote in Erinnerung bleiben. An andere Aktivitäten des ehemaligen Außenministers, Oppositionsführers, Obergrünen und Staatsmanns können sich viele hingegen nicht mehr en detail erinnern, ebenso wenig wie an den Anlass des Zwischenrufes.

Das zeigt: Emotionale Aussagen und Handlungen (z.B. der Kniefall Brandts in Warschau) können langfristig mit einem Politiker verbunden und erinnert werden. Sie helfen, Themen zu transportieren und unterstreichen Argumente. Sie sorgen somit dafür, das komplexe und manchmal wenig beachtete Themen in die Öffentlichkeit getragen und wahrgenommen werden.

Auch Peter Tauber hat mit seinem kleinen Kommentar die Debatte um die Diskussionskultur im Netz, um Hatespeech und den Umgang mit Trollen neu entfacht. Dafür ist ihm zu danken.

Doch was sind eigentlich Emotionen?


Portrait-Fotos
7 Grundemotionen
Als Emotionen werden Gemütsbewegungen im Sinne eines Affektes verstanden, also als unmittelbare Reaktion auf die Wahrnehmung eines Ereignisses. Emotionen sind - im Gegensatz zu Gefühlen - immer nach außen gerichtet, meist eine relativ kurze, dafür aber sehr intensive Reaktion. Sie beziehen sich auf Personen. Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung - das sind die sieben Grundemotionen.

Ich bin eindeutig dafür, dass Politiker Emotionen sowohl analog, als auch digital ausleben und zeigen sollen. Nichts ist schlimmer als eine blutleere und komplett rationale Kommunikation und ein emotionslos bespielter Account in sozialen Netzwerken. Seit Jahren hören wir in Umfragen das gleiche Lamento der Bürger: Früher gab es mehr kantige PolitikerInnen, richtige Typen und markante RednerInnen – heute erscheint das politische Personal vielen Wählern als glatt gelutscht, als abgeschliffenes Produkt von Auftrittscoachs.

Social Media lebt von Personen, lebt von Positionen und ganz klar auch von Emotionen. Der sachliche und rational verfasste Text wird meist weniger wahrgenommen als ein persönliches und pointiertes Statement oder ein emotional vorgetragener Standpunkt z.B. via Livestream. Erfolgreich sind die Politiker und politischen Institutionen, die es schaffen, ein Thema emotional aufzubereiten. Dabei darf die Emotion aber nicht das Thema verdrängen. Emotionen dürfen immer nur das Transportmittel der Botschaft sein. Nie die Botschaft selber.

Das dies nicht immer ganz einfach ist, zeigen Tausende von gelöschten Politiker-Tweets, missratene Facebook-Postings und einige Rücktritte z.B. von Kommunalpolitikern nach emotional-digitalen Ausrastern. Deshalb mein Tipp an alle erregten Politiker: Vor dem Absenden des Tweets, Snaps oder Instagramfotos kurz durchatmen, das Posting ein paar Minuten liegen lassen und nur dann absenden, wenn es sich dann immer noch richtig anfühlt. Kommunikation im Affekt kann schief gehen, gerade wenn die Erregung am größten ist.

Facebook Reactions
Prinzipiell eignen sich meines Erachtens alle Grundemotionen für die Kommunikation. Entscheidend ist die Frage nach der politischen Kommunikationsstrategie und dem eigenen Charakter und Selbstbild.

Ein Beispiel: Die AfD ist eine klassische Protestwählerpartei, die Ängste schürt und Wut in der Wählerschaft erzeugen möchte, um sich gegenüber die Politik der Parlamentsparteien abzugrenzen und diese als außerparlamentarische Opposition anzugreifen. Ein klassisches Setting. Aus diesem Grund erzeugen sehr viele Facebook-Postings der Partei und ihrer Protagonisten eine wütende, (Menschen-)verachtende und Furcht erzeugende Grundemotion. Unter anderem mit dieser emotionalen Kommunikationsstrategie hat die Partei aktuell sehr viel Erfolg – vergleicht man die Social-Media-Reichweiten und Interaktionsraten mit denen der anderen Parteien. Mit einer auf Freude basierenden Kommunikation würde die AfD wohl scheitern, sie würde überhaupt nicht zum Charakter der von Wutbürgern getragenen Partei passen.

Regierungsparteien und Vertreter der Koalition können nicht so oft auf diesen emotionalen Kanon zurückgreifen, von ihnen wird ein positiver Kommunikationsansatz erwartet, zumal sie selber ein Interesse haben mit positiven Themen wahrgenommen zu werden. Nichtsdestotrotz können auch hier Traurigkeit (Attacken von Paris, Tod von David Bowie) oder Wut (Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, Vorkommnisse in der Kölner Silvesternacht) gezielt eingesetzt werden, um eigene Positionen zu unterstreichen und in die Breite zu tragen.

Betrachtet man die Social-Media-Kommunikation genauer, sieht man das viele politische Akteure Emotionen sehr strategisch einsetzen. Nur in den wenigsten Fällen wirken Tweets und Postings wirklich wie im Affekt gesendet. Dies finde ich aus den oben beschrieben Aspekten auch nicht falsch. Emotionen können auch mit klarem Kopf verfasst werden. Dabei müssen politische Kommunikatoren aber aufpassen, dass eine oft benutzte Emotion sich nicht zum „running gag“ entwickelt und mit der Zeit abnutzt. Oder noch schlimmer: Bei den Empfängern nur als pures Stilmittel wahrgenommen wird.

Das Leben besteht nicht nur aus einer Emotion und nur wütende Anklagen kann auch der stärkste Unterstützer auf Dauer nicht aushalten. Zudem würde vielen aktuellen Debatten aus meiner Sicht etwas emotionale Abrüstung sehr gut tun. 70 Prozent der deutschen Facebooknutzer sehen das ähnlich. Laut einer aktuellen Umfrage haben sie in den vergangenen Monaten eine Zunahme von Emotionen und Aggression auf der Plattform wahrgenommen. Dies führt wiederum dazu, das knapp die Hälfte der Befragten in Zukunft weniger kommentieren wollen.

Trotzdem finde ich, der im Affekt entstandene Kommentar von Peter Tauber war richtig. Nach Monaten und Jahren der sachlichen Auseinandersetzung, überraschte er mit einem emotionalen Ausschlag und machte so auf das Thema herabwürdigender Beleidigungen gegenüber Politikern auf Facebook anschaulich aufmerksam. Seine unzähligen sachlichen Kommentare vorher hatten weder die Hater zufrieden gestellt, noch wurden sie in der Öffentlichkeit als Diskurs wahrgenommen. Die Kritiker hat er damit nicht umstimmen können, aber die Unterstützer versammelten sich nach dem Kommentar hinter ihm und in der Debatte wurde seine Stimme um so lauter gehört.

Kurzum: Emotionen gehören zu Social Media wie der Zwischenruf im Bundestag.


Fotonachweis: the big seven by booshooo [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr. 

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