Dies ist ein Gastbeitrag von Daniela Hohmann (Leiterin des Bereiches Mobilisierung, Analyse und Wahlen) und Daniel Stich (Generalsekretär und Landesgeschäftsführer) von der SPD Rheinland-Pfalz, sowie von Johannes Hillje (Associate) und Guillaume Liegey (CEO) bei Liegey Muller Pons. Alle vier waren am erfolgreichen Oberbürgermeister-Wahlkampf 2017 in Ludwigshafen aktiv beteiligt. Ein Werkstattbericht!
Logo SPD Rheinland-Pfalz |
Die
wichtigste Innovation im Bundestagswahlkampf 2017 waren nicht etwa
die intensivierten Social-Media-Kampagnen der Parteien. Es war ein
ganz altmodisches Instrument: Der Haustürwahlkampf, welcher
allerdings mit Hilfe digitaler Technologien als datenbasierter
Haustürwahlkampf ein Revival erlebte. Auch bei Landtagswahlen und
lokalen Wahlen stand dieses Mobilisierungsinstrument im Fokus fast
aller großen Parteien. Die Medien berichteten vielfältig über die
Wahlkämpfer, die ausgerüstet mit Smartphone-Apps von Tür zu Tür
zogen, und stießen mitunter auch die berechtigte Debatte über die Wirksamkeit und den Datenschutz dieser Wahlkampfform an.
Nach
Ende des intensiven Wahljahres 2017 ist das Thema schnell wieder aus
der öffentlichen Debatte verschwunden und es bleibt weitestgehend
offen, ob die Besuche an den Haustüren den Parteien genutzt haben.
Wir glauben, dass gerade Volksparteien in Zeiten sich verfestigender
Wahlmüdigkeit und erheblichem Zuspruch für den Rechtspopulismus
neue Wege gehen müssen, um mit den Bürgern in Kontakt zu treten und
sie zur Stimmabgabe zu bewegen. Inwiefern kann der datengestützte
Haustürwahlkampf also ein wirksames Mittel sein, um die eigene
Wählerklientel zur Wahlteilnahme zu bewegen? Mit der Darstellung
unserer gesammelten Erkenntnisse im Kontext der Ludwigshafener
Oberbürgermeisterwahl möchten wir einerseits zeigen,
welchen Anteil die Besuche an den Haustüren schon heute im deutschen
Wahlkontext haben können. Andererseits wollen wir eine
offene und parteiübergreifende Debatte über die Weiterentwicklung
des Haustürwahlkampfes anstoßen und die damit verbundenen künftigen
Wirkungspotenziale für das Instrument.
Rund 15.000 geklopfte Haustüren in strategisch wichtigen Stadtteilen
Kandidatin Jutta Steinruck (SPD) |
Die
Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen ging in zwei Wahlgängen
zugunsten der SPD-Kandidatin Jutta Steinruck aus. Im ersten Wahlgang
konnte die Kandidatin, die als Herausforderin ins Rennen ging,
bereits 48,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Schon dort lag
die Kandidatin der SPD 8,2 Prozentpunkte vor ihrem stärksten
Mitbewerber von der CDU. Im zweiten und entscheidenden Wahlgang fiel
das Ergebnis noch deutlicher aus: Hier konnte Jutta Steinruck (SPD) –
bei einer rückläufigen Wahlbeteiligung um rund 25 Prozentpunkte –
58,1 Prozent der Stimmen der wahlberechtigen Ludwigshafener auf sich
vereinen und ging damit als Wahlsiegerin aus der
Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen hervor. Davor lag ein
intensiver SPD-Wahlkampf, bei dem Haustürbesuche eine
Schwerpunktsetzung in der Kampagne darstellten. An den Türen waren
sowohl eine Vielzahl ehrenamtlicher Parteimitglieder und Unterstützer
der Kampagne als auch die Kandidatin selbst unterwegs, sodass am
Wahltag 15.289 geklopfte Haustüren in strategisch wichtigen
Stadtteilen auf dem Anzeiger standen.
Rund
6.000 der geklopften Haustüren in allen 14 Stadtteilen entfielen
dabei auf den ersten Wahlgang, die restlichen mehr als 9.000
Haustüren wurden im Zuge des zweiten Wahlgangs regelrecht
abgeklappert. Leider kann unsere Analyse des Haustürwahlkampfes nur
für den ersten Wahlgang erfolgen, denn im entscheidenden zweiten
Wahlgang kam es seitens der Verwaltung zu vorher nicht kommunizierten
Zusammenlegungen von Stimmbezirken, welche eine systematische Analyse
des Haustürwahlkampfes in diesem Wahlgang unmöglich machen.
Die Tür-zu-Tür-App als Navigator und Dokumentationsinstrument
Screenshot aus der App 50+1 von LMP |
Vor
dem ersten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen, der
zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand wurden in allen 14
Stadtteilen Haustürbesuche durchgeführt. In einem Zeitraum von rund
zwei Monaten waren die Ehrenamtlichen in 32 von 102
Urnenwahlstimmbezirken aktiv, klopften dabei an rund 6.000 Haustüren
und kamen bei einer Kontaktquote von 34 Prozent mit über 2.000
Bürgern ins Gespräch. Die Wählerkämpfer waren mit der App „50+1“
des Kampagnentechnologie-Unternehmens Liegey Muller Pons (LMP)
ausgestattet. Die App führt sie zu den Haustüren, an denen geklopft
werden sollte und gab ihnen gleichzeitig die Möglichkeit,
Informationen über das Gespräch oder den Gesprächspartner zu
sichern. Mittels der potenzialorientierten Datenanalysen von Liegey
Muller Pons wurde auf Basis von öffentlich zugänglichem
Datenmaterial vergangener Wahlen drei Zielgebiete für den
Haustürwahlkampf in Ludwigshafen ermittelt:
1.) SPD-Hochburgen und
damit Gebiete, in denen die SPD in vergangenen Wahlen stark
abgeschnitten hat,
2.) SPD-Mobilisierungsgebiete, also Gebiete, in
denen die SPD-Ergebnisse bei vergangenen Wahlen rückläufig waren
und
3.) SPD-Überzeugungsgebiete, was Gebiete umfasste, in denen die
AfD der SPD in jüngster Zeit die Vormachtstellung streitig gemacht
hat.
In 28 der 32 Stimmbezirke, in denen die SPD vor dem ersten
Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl Haustürbesuche durchgeführt
hat, ging sie als Gewinner hervor.
In der großen Mehrheit der Stadtteile zahlten sich Haustürbesuche aus
Streckenkarte App 50+1 |
Doch
welchen Anteil am SPD-Ergebnis kann den Besuchen an der Haustür im
ersten Wahlgang zugeschrieben werden? Hierfür wollen wir die
durchschnittlichen SPD-Ergebnisse bei der Urnenwahl
(Briefwahlergebnisse werden aus methodischen Gründen nicht
berücksichtigt) mit den SPD-Ergebnissen für die Gebiete
vergleichen, in denen systematisch Haustürbesuche durchgeführt
wurden. Für Ludwigshafen als Ganzes zeigt sich für den ersten
Wahlgang bei der Oberbürgermeisterwahl 2017, dass die SPD mit ihrer
Kandidatin Jutta Steinruck ein Urnenwahlergebnis von 50,1 Prozent
erreichen konnte. Nimmt man nun aber alle Gebiete der Stadt zusammen,
in denen Haustürbesuche durchgeführt wurden, kommt ein
Urnenwahlergebnis von 50,8 Prozent für die SPD zustande. Mit den
Haustürbesuchen lag die SPD also 0,7 Prozentpunkte über ihrem
durchschnittlichen Ergebnis. Das ist ein klares Plus, das gerade bei
knappen Wahlergebnissen entscheidend sein kann. Vergleicht man die
Differenzen der Gebiete, in denen systematische Haustürbesuche
durchgeführt wurden mit den Gebieten, in denen keine Besuche an den
Haustüren stattfanden, wächst das errechnete Plus sogar auf 2,0
Prozentpunkte an.
Bezogen
auf die einzelnen Stadtteile ergeben sich in 9 der 14 Stadtteile
Hinweise darauf, dass sich das Durchführen von Haustürbesuchen
positiv auf das SPD-Ergebnis bei der Oberbürgermeisterwahl
ausgewirkt hat. Die Spanne des erreichten Plus erstreckt sich von 0,3
Prozentpunkten bis hin zu beachtlichen 4,1 Prozentpunkten. Das größte
Plus lässt sich in den Stadtteilen Maudach (+4,1), Süd (+3,8),
Oppau (+1,8) und Gartenstadt (+1,6) messen. Gerade die Ergebnisse in
der Gartenstadt sind als besonders erfreulich hervorzuheben, weil
hier in Teilen die AfD in jüngster Vergangenheit besonders stark an
Boden gewinnen konnte.
Ø
SPD
Ergebnis
|
SPD Ergebnis mit Tür zu
Tür
|
Mehrwert durch Tür zu
Tür
|
|
Ludwigshafen gesamt |
50,1
|
50,8
|
+0,7
|
Ludwigshafen Maudach |
40,7
|
44,8
|
+4,1
|
Ludwigshafen Süd |
51,0
|
54,8
|
+3,8
|
Ludwigshafen Oppau |
49,0
|
50,8
|
+1,8
|
Ludwigshafen Gartenstadt |
45,7
|
47,3
|
+1,6
|
Ludwigshafen Oggersheim |
48,9
|
50,0
|
+1,1
|
Ludwigshafen Pfingstweide |
55,6
|
56,3
|
+0,7
|
Ludwigshafen Edigheim |
50,3
|
50,8
|
+0,5
|
Ludwigshafen Ruchheim |
41,4
|
41,8
|
+0,4
|
Ludwigshafen Nord/Hemshof |
59,0
|
59,3
|
+0,3
|
Ludwigshafen West |
59,5
|
59,5
|
0
|
Ludwigshafen Friesenheim |
52,2
|
52,8
|
-0,6
|
Ludwigshafen Mitte |
53,4
|
52,6
|
-0,8
|
Ludwigshafen Mundenheim |
49,2
|
48,0
|
-1,2
|
Ludwigshafen Rheingönheim |
44,8
|
41,8
|
-3,0
|
Ergebnisse
der Oberbürgermeisterwahl auf Stadtteilebene (ohne Briefwähler) mit
Angabe zu den Tür-zu-Tür-Aktivitäten.
Verschweigen
wollen wir aber nicht, dass in vier Stadtteilen keine positive
Differenz zwischen dem durchschnittlichen SPD-Ergebnis und dem
SPD-Ergebnis mit Haustürbesuchen verzeichnet werden konnten. Das
ermittelte Minus ist mit Werten von -0,6 Prozentpunkten bis zu -3,0
Prozentpunkten unterschiedlich groß. Wir haben Anhaltspunkte dafür,
dass diese Ergebnisse mit Blick auf den zweiten Wahlgang anders
ausgefallen sind, denn gerade in diesen Stadtteilen wurde die
Kampagne gezielt intensiviert und die Anzahl der Haustürbesuche
erhöht. Ein Nachweis muss an dieser Stelle allerdings ausbleiben.
Ein Instrument voller bisher ungehobener Mobilisierungspotenziale
Die
hier präsentierten Ergebnisse lassen uns einerseits annehmen, dass
die Haustürbesuche mit den erzielten Mobilisierungserfolgen in
Ludwigshafen einhergegangen sind. Andererseits lassen uns die
Resultate erahnen, welche Potenziale in den Besuchen mit Blick auf
die Zukunft stecken, wenn sie noch umfangreicher und noch
professioneller durchgeführt werden.
Wahlergebnis-Anzeige in der App 50+1 |
Dies
beinhaltet, erstens, zum Beispiel die Verbesserung der Dokumentation
der Besuche an den Haustüren per App. Thematische Interessen,
aktuelle Stimmungen und Kontaktdaten von Bürgern sind - sofern sie
von den Menschen freiwillig zur Verfügung gestellt werden - wichtige
Ressourcen für künftige Wahlkämpfe. Solche Informationen sollten
unkompliziert und im Einklang mit dem geltenden Datenschutz
aufgenommen werden können. Das erfordert technische Voraussetzungen
in der App, aber auch deren sensiblen Umgang mit dem Thema
Datenschutz an der Haustür.
Zweitens
ermöglicht es die Aufnahme von Kontaktdaten sich auch über den
Haustürbesuch hinaus mit dem Bürger zu vernetzen. Hier ist allem
voran die Umwandlung eines Kontakts an der Haustür in einen Fan,
Follower oder Abonnenten der Social Media- oder für die
Email-Kommunikation interessant. So könnten Kandidaten analog im
direkten Gespräch überzeugen und dann digital die geknüpfte
Bindung festigen.
Drittens,
wird das Potenzial von Haustürbesuchen aus unserer Sicht verkürzt
betrachtet, wenn dabei lediglich die Wählermobilisierung in den
Blick genommen wird. Auch für die Mobilisierung nach innen sind
Haustürbesuche wertvoll – das hat der Haustürwahlkampf in
Ludwigshafen ganz deutlich gezeigt. Im Verlauf der Kampagne hat sich
unter den Ehrenamtlichen eine echte Schneeballwirkung entfaltet, die
immer neue Ehrenamtliche in den Bann gezogen hat und so einen Beitrag
zur Wiederbelebung der Parteistrukturen geleistet hat. Zweifelsfrei
ist dieser Faktor nicht einfach zu messen, aber interne Evaluierungen
im Wahlkampfteam könnten Aufschluss darüber geben, welchen Beitrag
diese Form der Einbindung von Ehrenamtlichen langfristig für die
Stärkung der lokalen Parteistruktur leisten könnte.
In
Deutschland haben wir gerade erst begonnen, die Potenziale zu heben,
die die Besuche an den Haustüren bieten. Erfolgsgeschichten wie der
Oberbürgermeisterwahlkampf in Ludwigshafen zeigen schon heute, was
mit systematischen Haustürbesuchen möglich ist. Ein Blick in die
USA zeigt aber auch, dass das nur der Anfang ist, wenn man bereit ist
die Professionalisierung des Instruments voranzutreiben. Mit
professionalisierten
Haustürbesuchen – auch
außerhalb von Wahlkampfzeiten – werden wir die darin noch
schlummernden Potenziale heben können und sehr wahrscheinlich schon
bald über Ludwigshafen hinaus stärkere und langfristigere
Mobilisierungswirkungen messen können.
AutorInnen
Daniela Hohmann |
Daniela
Hohmann leitet den Bereich Mobilisierung, Analyse und Wahlen bei der
SPD Rheinland-Pfalz und promoviert im Bereich der Wahlforschung.
Auf
Twitter: @DanielaHohmann
Daniel Stich |
Daniel
Stich ist Generalsekretär und
Landesgeschäftsführer der SPD Rheinland-Pfalz.
Auf
Twitter: @D_Stich
Johannes Hillje |
Johannes
Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und
Associate
von LMP in Deutschland.
Auf Twitter: @JHillje
Auf Twitter: @JHillje
Guillaume
Liegey
|
Guillaume
Liegey ist Mitgründer und CEO von LMP (Liegey Muller Pons), ein
führendes europäisches Kampagnentechnologie-Unternehmen, das Büros
in Berlin, London und Paris hat und u.a. für Emmanuel Macron’s Bewegung „En Marche!“ arbeitet.
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