Dies ist Gastbeitrag von Jan Rau, wissenschaftlicher Mitarbeiter am GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaften und der Princeton University und von Felix M. Simon, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Dies ist der erste Beitrag einer Reihe von drei Beiträgen zum Thema digitale Gegenöffentlichkeiten.
Trump,
Brexit, die AfD: Populisten und Reaktionäre sind auf dem Vormarsch.
Wichtig für ihren Erfolg: die Schaffung von Gegenöffentlichkeiten
im Internet. Doch wie genau nutzen diese Kräfte digitale Medien für
sich? Und ist das Internet wirklich “an allem schuld”? Ein Blick
in die Forschung gibt Antworten.
Donald
Trump, die FPÖ, die AfD und der Brexit: In vielen westlichen
Demokratien scheinen rechte, nationale und reaktionäre Kräfte auf
dem Vormarsch. Folgt man der öffentlichen Diskussion ist der
Schuldige für diese Entwicklung schnell ausgemacht – es ist
natürlich das Internet.
Wurde selbiges früher vor allem von DenkerInnen und Bewegungen aus dem linken und liberalen Lager als Katalysator für Demokratie und Freiheit gesehen, ist die Mehrheitsmeinung heute das genaue Gegenteil: Sorgen über Social Bots, „Fake News“, Echokammern und psychologisches Microtargeting haben den Traum von besserer Vernetzung und neuen progressiven politischen Bewegungen abgelöst.
Was ist geschehen? Lagen die UtopistInnen der ersten Stunde so falsch? Während eine grundsätzliche Skepsis in Bezug auf die tatsächliche Rolle des Internets bei den angesprochenen politischen Großereignissen nötig bleibt (dazu später mehr), so lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen, dass das Internet ein Katalysator für politische Veränderung geworden ist. Allerdings sind es weniger progressive Kräfte, die aktuell davon profitieren. Stattdessen sind es oft insbesondere konservative und rechte Bewegungen, die das Internet als politische Plattform zur Zeit besonders erfolgreich nutzen.
Gerade mal wieder Schuld an Allem: Das Internet |
Wurde selbiges früher vor allem von DenkerInnen und Bewegungen aus dem linken und liberalen Lager als Katalysator für Demokratie und Freiheit gesehen, ist die Mehrheitsmeinung heute das genaue Gegenteil: Sorgen über Social Bots, „Fake News“, Echokammern und psychologisches Microtargeting haben den Traum von besserer Vernetzung und neuen progressiven politischen Bewegungen abgelöst.
Was ist geschehen? Lagen die UtopistInnen der ersten Stunde so falsch? Während eine grundsätzliche Skepsis in Bezug auf die tatsächliche Rolle des Internets bei den angesprochenen politischen Großereignissen nötig bleibt (dazu später mehr), so lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen, dass das Internet ein Katalysator für politische Veränderung geworden ist. Allerdings sind es weniger progressive Kräfte, die aktuell davon profitieren. Stattdessen sind es oft insbesondere konservative und rechte Bewegungen, die das Internet als politische Plattform zur Zeit besonders erfolgreich nutzen.
Was sind digitale Gegenöffentlichkeiten?
Einer
der ersten AutorInnen, die dieses Phänomen auch theoretisch
aufgegriffen hat, ist der Sozialwissenschaftler Ralph Schroeder.
Schroeder, der am Oxford Internet Institute forscht und lehrt,
versteht in seiner Analyse die Öffentlichkeit als Arena, welche
gekennzeichnet ist durch einen limitierten Vorrat an Aufmerksamkeit
(Stichwort: Attention Economy). Die wird wiederum von einigen wenigen
großen Medien dominiert. Als Gatekeeper für die Arena bestimmen sie
in erheblichen Maße das, was diskutiert wird. Sie setzen die Agenda.
Verschiedene politische Ideologien wiederum versuchen Zugang zur
öffentlichen Arena zu bekommen. Ihr Ziel: die Agenda der Medien und
somit die öffentliche Agenda zu beeinflussen. Die öffentliche Arena
ist jedoch aufgrund des limitierten Vorrats an Aufmerksamkeit als
Nullsummenspiel zu verstehen. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass
nur einige wenige Akteure und politische Ideologien gleichzeitig in
der öffentlichen Arena Platz finden können.
An
dieser Stelle kommen die Gegenöffentlichkeiten ins Spiel. Das
Konzept geht auf die linke Philosophin Nancy Fraser zurück und wurde
ursprünglich als alternativer Diskussionsraum für marginalisierte
gesellschaftliche Gruppen wie Arbeiter, Frauen oder Menschen mit
Migrationserfahrung definiert. Schroeder überträgt dieses Konzept
von der politischen Linken auf die politische Rechte und ins
Internetzeitalter: Digitale Medien, so der Oxforder Forscher, bieten
rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien eine Möglichkeit,
digitale Gegenöffentlichkeiten zu erschaffen. Über diese
Gegenöffentlichkeiten ist es wiederum möglich, die Gatekeeper –
also traditionelle Medien – zu umgehen und sich somit letztlich
einen Weg in die öffentliche Arena zu bahnen.
Form von Gegenöffentlichkeit: Facebookseite HC Strache (FPÖ) |
Vier Strategien zur digitalen Gegenöffentlichkeit
Grundsätzlich
lassen sich vier Strategien identifizieren, wie eine solche digitale
Gegenöffentlichkeit geschaffen werden kann:
- Erstens kann das Internet die Abhängigkeit von traditionellen Medien reduzieren, indem es politischen Akteuren oder Parteien die Möglichkeit gibt, durch soziale Medien oder Webseiten direkt mit ihren (potenziellen) Unterstützern zu kommunizieren. So konnte die AfD beispielsweise, während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015, ihre Unterstützer auch abseits der großen Medien durch Facebook erfolgreich erreichen und mobilisieren.
- Zweitens kann als hybride Strategie das Agenda Setting genannt werden, welche nur in Teilen auf Internetmedien beruht. Digitale Kanäle (zum Beispiel die oben genannten Facebookseiten der FPÖ) werden als Medium benutzt um die ursprüngliche Nachricht zu verfassen. Im Anschluss wird jedoch darauf vertraut, dass diese Nachricht von traditionellen Medien aufgegriffen wird und so ihren Weg in die öffentliche Arena und damit zu einem breiteren Publikum findet.
- Drittens können rechte Bewegungen von einer rechten Medienszene wie im Internet profitieren, welche versucht, sich als alternative Nachrichtenquelle zu etablieren (alternative Nachrichtenseiten wie unzensiert.at sind hier ein gutes Beispiel). Ähnlich wie bei den ersten beiden Strategien profitiert dieser Ansatz von den im Internet verhältnismäßig geringen Kosten, wenn es darum geht Inhalte zu publizieren. Dezentrale Verbreitungswege tun dann oft ihr Übriges.
- Viertens können digitale Medien einen Aktionsraum für politische „bottom up“ Bewegungen darstellen, die sich ohne eine Koordination „von oben“ durch Parteien oder andere Akteure selbst organisieren. Im Prinzip handelt es sich hierbei um jene digitalen Graswurzelbewegungen, die einst von den Internetutopisten der ersten Stunden beschrieben wurden: nur eben im rechten politischen Spektrum (ein Beispiel sind rechte Gruppen auf Facebook).
Warum das Internet (trotzdem) nicht an allem schuld ist
Der
Erfolg dieser Strategien ist allerdings immer auch vom Kontext
abhängig. In Deutschland spielt das Internet aktuell noch eine
deutlich geringere Rolle beim Nachrichtenkonsum als in den USA,
während der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine sehr zentrale
Stellung einnimmt. Digitale Gegenöffentlichkeiten von Rechts haben
es damit zwangsläufig schwerer. Stattdessen sind reaktionäre und
populistische Kräfte hierzulande noch stärker auf hybride
Strategien wie das Agenda Setting angewiesen.
Zudem
darf die potentielle Rolle des Internets bei politischen
Großereignissen nicht überschätzt werden. Weitaus bedeutender sind
immer noch strukturelle Faktoren und Langzeitentwicklungen wie zum
Beispiel Globalisierungsängste, Fremdenfeindlichkeit oder
Individualisierungstendenzen. In allen bekannten Beispielen von
digitalen Gegenöffentlichkeiten konnten diese nur im Zusammenspiel
mit diesen und anderen wesentlich wichtigeren Faktoren erfolgreich
sein. Rechte digitale Gegenöffentlichkeiten haben ohne Zweifel eine
nicht unbedeutende Rolle für die politische Etablierung Donald
Trumps oder der AfD gespielt. Die eigentlichen Ursachen für den
Erfolg dieser Akteure aber liegen tiefer und der starke Fokus der
öffentlichen Diskussion auf das Internet lässt sich nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht halten.
Autoren
Jan Rau |
Website: https://janrau.com
Felix S. Simon
Felix M. Simon |
Webseite: https://about.me/Felix_Simon
Twitter: @_FelixSimon_
E-Mail: felixmarvinsimon [at] gmail [dot]
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