Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Florian Wintterlin vom Institut für Kommunikationswissenschaft
in Münster. Die vorgestellten Ergebnisse sind Teil seiner Promotion
am DFG-Graduiertenkolleg für „Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt“.
Die veröffentlichte Version der Dissertation ist bei Nomos unter dem
Titel „Quelle: Internet. Journalistisches Vertrauen bei der
Recherche in sozialen Medien“ erschienen und kann hier
erworben werden.
Buchcover: Quelle: Internet |
Beginnen wir mit einem
Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, man sei JournalistIn bei
einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender im Newsroom in Mainz oder
Hamburg. Es ist bislang ein Tag mit weitgehend im Voraus geplanten
Beiträgen, für die Hauptnachrichtensendung am Abend steht das
Gerüst. Doch plötzlich kommt über den Ticker eine Nachricht rein,
die Breaking News-Potential hat. Doch die Nachrichtenlage ist
schwierig. Eigene Korrespondenten sind nicht vor Ort und auch
Kollegen anderer Medien fehlen; offizielle Stellen geben nur
spärliche Informationen heraus, um keine Falschinformationen zu
verbreiten. In solchen Situationen bietet das Internet und speziell
Social Media ein Reservoir an Rohmaterial, das potentiell dazu
geeignet ist, dieses Informationsvakuum zu füllen.
Gleichzeitig ist die Verlockung des einfach verfügbaren Materials mit Risiken verbunden. Über die Quellen sind wenige Informationen bekannt, oftmals fehlen Vorerfahrungen mit den dahinter stehenden Personen und Institutionen. JournalistInnen befinden sich demzufolge im Dilemma, schnell zu berichten und nur wahrheitsgemäße Informationen kommunizieren zu wollen.
In meiner Promotion habe ich mir die Frage gestellt, in welchem Umfang derartige distanzierte Quellen überhaupt verwendet werden und wie die Vertrauenswürdigkeit der Quellen überprüft wird. Beantwortet wurden die Forschungsfragen mit einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung über 8 Krisen (2011 bis 2015, Erhebungszeitraum: die ersten 4 Tage nach dem Ereignis) in mehr oder weniger weit entfernten Gebieten in TV-, Radio-, Print- und Onlinenachrichten, Leitfadeninterviews mit ExpertInnen für Social Media und Verifikation in 12 deutschen Nachrichtenmedien (2014-2015) und einem Survey mit 411 JournalistInnen aus Deutschland und Großbritannien (2016).
Gleichzeitig ist die Verlockung des einfach verfügbaren Materials mit Risiken verbunden. Über die Quellen sind wenige Informationen bekannt, oftmals fehlen Vorerfahrungen mit den dahinter stehenden Personen und Institutionen. JournalistInnen befinden sich demzufolge im Dilemma, schnell zu berichten und nur wahrheitsgemäße Informationen kommunizieren zu wollen.
In meiner Promotion habe ich mir die Frage gestellt, in welchem Umfang derartige distanzierte Quellen überhaupt verwendet werden und wie die Vertrauenswürdigkeit der Quellen überprüft wird. Beantwortet wurden die Forschungsfragen mit einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung über 8 Krisen (2011 bis 2015, Erhebungszeitraum: die ersten 4 Tage nach dem Ereignis) in mehr oder weniger weit entfernten Gebieten in TV-, Radio-, Print- und Onlinenachrichten, Leitfadeninterviews mit ExpertInnen für Social Media und Verifikation in 12 deutschen Nachrichtenmedien (2014-2015) und einem Survey mit 411 JournalistInnen aus Deutschland und Großbritannien (2016).
Wie häufig wird Social-Media-Material in der Krisenberichterstattung verwendet?
Die Inhaltsanalyse hat gezeigt, dass besonders in Online-Nachrichten Social-Media-Material sehr präsent ist. 59% der untersuchten Beiträge stützen sich zumindest teilweise auf Informationen aus Social Media. Bei Fernsehnachrichten sind es 25%, Print und Radio folgen mit 14 bzw. 10%.
In der Befragung gaben 87% der
Befragten an, zumindest selten (in mehr als einem Drittel ihrer
Beiträge) Social-Media-Material zu verwenden. Twitter ist für die
JournalistInnen die wichtigste Informationsquelle gefolgt von
Facebook, Blogs und Youtube.
Abbildung 2. Anteil der Social-Media-Beiträge im Zeitverlauf |
Im Zeitverlauf der Berichterstattung nach aktuellen Ereignissen nimmt der Anteil der Beiträge mit Social-Media-Material ab. Das ist ein erstes Indiz dafür, dass Social-Media-Material als Lückenfüller betrachtet wird und möglichst schnell durch andere Quellen ersetzt wird.
Wie wird die Vertrauenswürdigkeit distanzierter Quellen überprüft?
Aus den Interviews mit JournalistInnen
konnte ein Modell entwickelt werden, das die Überprüfung der
Vertrauenswürdigkeit als Abwägung von wahrgenommenem Risiko und
wahrgenommener Vertrauenswürdigkeit beschreibt.
Danach sind es eben nicht nur Merkmale des Inhalts oder der Quelle, die entscheidend für die Verwendung des Materials in der Berichterstattung sind, sondern ebenso Kontextfaktoren wie die Relevanz des Themas der Berichterstattung und die Verfügbarkeit von Informationen anderer Quellen, die Einfluss darauf nehmen, ob JournalistInnen Social Media in ihre Berichte einbinden.
Abbildung 3. Risikowahrnehmung und Vertrauenswürdigkeit von Quellen aus Sicht von JournalistInnen |
Danach sind es eben nicht nur Merkmale des Inhalts oder der Quelle, die entscheidend für die Verwendung des Materials in der Berichterstattung sind, sondern ebenso Kontextfaktoren wie die Relevanz des Themas der Berichterstattung und die Verfügbarkeit von Informationen anderer Quellen, die Einfluss darauf nehmen, ob JournalistInnen Social Media in ihre Berichte einbinden.
„Breaking News heißt: Du musst sofort agieren. Und das widerspricht natürlich der Verifizierung und dem ganzen Prozess.“ (öffentlich-rechtlicher Fernsehjournalist)Social-Media-Material, das nur zur Bebilderung oder Ergänzung anderer Informationen dient, wird oftmals ohne aufwendige Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit verwendet.
Die konkreten
Verifikationsstrategien waren in deutschen Redaktionen zum Zeitpunkt
der Erhebung noch wenig standardisiert und bestanden weitgehend aus
klassischen journalistischen Recherchetechniken, wie dieses Zitat
eines Fernsehjournalisten zeigt:
Dieses Zitat eines Agenturjournalisten illustriert das Vorgehen beispielhaft am Fall eines abgeschossenen Kampfjets:
„Es geht auch einfach darum, Landkarten zu benutzen, Wetterberichte einzuholen, also ganz banale Informationen. Ob es zum Beispiel stimmen kann, dass dieser Beitrag an diesem Tag stattgefunden hat, wenn strahlender Sonnenschein ist, und es wird eine Flut angekündigt, dann kann es ja nicht hinhauen. Also, es sind oft weniger komplizierte Sachen als man immer glaubt, was so Tools angeht.“
Dieses Zitat eines Agenturjournalisten illustriert das Vorgehen beispielhaft am Fall eines abgeschossenen Kampfjets:
„Als dieser russische Kampfjet von türkischen Streitkräften an der Grenze abgeschossen wurde, gab es in sozialen Medien ein Video zu sehen, das angeblich den abgeschossenen Jet zeigen sollte, und auch den einen Piloten. Und das ist so der Klassiker, wo wir zunächst mit sehr spitzen Fingern rangehen. Wir haben uns dann aber mehrere Videos im Internet aus verschiedenen Kameraperspektiven zu diesem Ereignis ansehen können, haben die miteinander verglichen, haben die Uniformen überprüft, haben die Aufschriften auf der Maschine gegenrecherchiert – und kamen dann eben zu dem Ergebnis: Ja, diese Videos sind tatsächlich authentisch.“
Abbildung 4. Strategien zur Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit distanzierter Quellen |
Avancierte Strategien wie die
technische Verifikation oder die crowd verification, bei der das
Netzwerkpotential von Social Media genutzt wird und unverifiziertes
Material veröffentlicht wird, um Kollegen und Follower an
Verifikationsprozess teilhaben zu lassen, werden eher selten
verwendet.
Der Umgang mit Restunsicherheit
Trotz aller Verifikationsbemühungen
bleiben oftmals Zweifel an der Authentizität des Materials. Im
Regelfall wird diese Unsicherheit mit Hinweisen auf die
Vertrauenswürdigkeit des Materials an die RezipientInnen
weitergegeben.
Nach den Ergebnissen der Inhaltsanalyse
geschieht das bei nicht-professionellen Quellen, die nicht
berufsbedingt mit Medien zu tun haben, in einem Viertel der Fälle.
Auch in den Leitfadeninterviews gab es einen großen Konsens über
diese Vorgehensweise. Einzelne JournalistInnen wenden sich jedoch
gegen diese Art des Umgangs mit Unsicherheit. Abbildung 5. Kommunikation von Unsicherheit bei Social-Media-Material |
„Ich finde, dass dieser Satz ‚Wir konnten die Quellen nicht überprüfen, sie sind nicht von uns, sie sind uns unbekannt‘, dass dieser Satz total bekloppt ist. Entweder habe ich genug getan, dass ich sage: Das sende ich. [...] Oder aber ich sage: Ich kann nichts kontrollieren, dann zeige ich es auch nicht.“
Generell zeigen alle drei Studien, dass die Unsicherheit der JournalistInnen beim Umgang mit Social-Media-Material hoch ist und durch die Geschwindigkeit der Berichterstattung noch potenziert wird. Wie darauf reagiert wird, ist aber entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Journalismus.
„Wir müssen uns frei machen von diesem Druck, wir müssen im Zweifel aber eben auch offen erklären, warum wir jetzt langsamer sind, weil wir eben sagen: Uns reicht es nicht, einen Tweet zu retweeten.“ (Agenturjournalist)
Erste Ergebnisse anderer Studien zeigen, dass auch bei RezipientInnen der Leitsatz „be first, but first be right“ nach wie vor unterstützt wird.
Autor:
Dr. Florian Wintterlin |
Twitter: @Flo_Wintt
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