Freitag, 25. Oktober 2019

Twitter-Analyse: Wie nutzen Bundestagsabgeordnete Twitter zur Vernetzung?

Dies ist ein Gastbeitrag von Simon Storks, Berater bei pollytix strategic research und Lutz Ickstadt, Student der Empirschen Demokratieforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 

Key-Findings

  1. Bundestagsabgeordnete vernetzen sich bei Twitter vor allem innerhalb der eigenen
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    Fraktion

  2. Eine politische Spitzenposition sorgt sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen Fraktion für eine hohe Reichweite in Form von Follower*innen. 

  3. Nur ein kleiner Teil der Abgeordneten nutzt Twitter aktiv zum Netzwerken über Fraktionsgrenzen hinweg.

  4. Die Netzwerker*innen sind häufiger Abgeordnete ohne Spitzenposten (aus der zweiten Reihe), die Twitter damit anders nutzen als ein Großteil ihrer Kolleg*innen.

  5. Die Vernetzung kann sich durchaus positiv auf die eigene Reichweite in Form von Follower*innen auswirken – #Follow4Follow funktioniert auch im Bundestag.

 

Vernetzung der Bundestagsabgeordneten bei Twitter


Twitter ist ein zentrales Instrument politischer Kommunikation. Hier tummeln sich Abgeordnete, Journalist*innen und CEOs, versuchen Aufmerksamkeit zu generieren, Themen zu setzen, informieren und vernetzen sich.

Stand September 2019 haben 76% der Bundestagsabgeordneten einen Twitter-Account und nutzen oder bespielen diesen mal mehr, mal weniger aktiv: Im Schnitt wurden von den twitternden Abgeordneten in den letzten drei Monaten 165 Tweets abgesetzt, durchschnittlich hat jede*r von ihnen 11.838 Follower*innen und folgt selbst 811 anderen Accounts.

540 von 709 MdB nutzen im September 2019 Twitter
Infografik: Wieviele Bundestagsabgeordnete nutzen Twitter? (Stand 9/2019)

Unser interaktives Twitter-Netzwerk der Bundestagsabgeordneten visualisiert die gegenseitige Vernetzung der Abgeordneten untereinander: Wer folgt wem und wem folgt wer? (https://mdb.pollytix.de/).

Die einzelnen Punkte symbolisieren bei Twitter aktive Abgeordnete und die Linien zwischen ihnen Verbindungen in Form von Twitter-Followerschaft. Abgeordnete mit vielen gemeinsamen Verbindungen liegen näher beieinander; Abgeordnete mit nur wenigen Verbindungen liegen weit außerhalb des Netzwerks.


Netzwerk-Karte
Infografik: Interaktives Twitter-Netzwerk der Bundestagsabgeordneten



Auf den ersten Blick wird bereits deutlich: Bis auf einzelne Ausreißer ordnen sich die Abgeordneten auch im „Twitter-Bundestag“ zu Fraktionen zusammen, zwischen denen mal mehr mal weniger Vernetzung besteht. Wenig Verbindungen bestehen zu den twitternden Abgeordneten der AfD

Über Fraktionsgrenzen hinweg


Netzwerkgrafik
Infografik: Fraktionsübergreifende Vernetzung


Die Grafik oben visualisiert, wie vernetzt Abgeordnete bei Twitter in andere Fraktionen sind. Je weiter rechts, desto mehr Abgeordnete anderer Fraktionen interessieren sich für die Tweets des*r Abgeordneten und folgen ihr/ihm, je weiter oben, desto mehr Interesse zeigt der Abgeordneten selbst an fraktionsübergreifender Vernetzung durch wechselseitiges Folgen.

Bei dieser fraktionsübergreifenden Vernetzung lassen sich vier Typen charakterisieren: Sprachrohre, Netzwerker*innen, die Mittelfeld-Gruppe und die eher passiven User*innen.

Infografik: Fraktionsübergreifende Vernetzung mit Einteilung nach Typen



Die Sprachrohre: 


Zur ersten Gruppe zählen unter anderem Peter Altmaier (CDU), Christian Lindner (FDP) und Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen). Sie haben eine hohe Reichweite in andere Fraktionen, von denen sie jedoch nicht Vielen zurück folgen. Sie nutzen Twitter hauptsächlich als Sprachrohr. Das trifft insbesondere auf (ehemalige) Spitzenpolitiker*innen zu, die generell auch außerhalb des Bundestages viele Follower*innen haben, weil jede*r mitbekommen will, was diese Abgeordneten zu sagen haben. Die Analysen deuten darauf hin, dass Spitzenposten für eine hohe Reichweite in andere Fraktionen relevant sind. 

Die Netzwerker*innen: 


Die Netzwerker*innen Stefan Liebich (Die LINKE), Dorothee Bär (CSU) und Johannes Kahrs (SPD), haben mehrheitlich keine parteiinternen Spitzenposten inne. Sie haben dennoch, wie die Sprachrohre, überdurchschnittlich viele Follower*innen aus anderen Parteien, und sind zugleich sehr gut wechselseitig mit diesen vernetzt – das bedeutet sie folgen zurück. Auffällig ist, dass alle drei Netzwerker*innen auf Twitter besonders aktiv sind. Mit 10.335 (@kahrs), 387 (berlinliebich) und 342 (@DoroBaer) Tweets in den letzten drei Monaten liegen sie alle klar in der Spitzengruppe der „Viel-Twitterer*innen“ im Bundestag – und liegen klar über dem Durchschnitt von 168 Tweets in den vergangenen 3 Monaten. 

Mittelfeld: 


Eine dritte Gruppe bewegt sich zwischen Sprachrohren und Netzwerker*innen: u. a. Konstantin von Notz und Sven-Christian Kindler (beide Bündnis 90/Die Grünen). Diese Abgeordneten haben eine überdurchschnittlich hohe Reichweite in andere Fraktionen und sind auch mit vielen dieser Follower*innen vernetzt (folgen sich also gegenseitig), sind aber noch nicht so erfolgreich wie die Gruppen der Sprachrohr-Nutzer*innen oder die Netzwerker*innen. Hier arbeiten viele nach dem Prinzip #Follow4Follow, um ihre Reichweite auszubauen. 

Die passiven User*innen:


Der größte Anteil der Abgeordneten hat jedoch weder eine große Followerschaft aus anderen Fraktionen, noch folgen sie selbst vielen Abgeordneten anderer Fraktionen. 

Innerhalb der eigenen Fraktion


Fraktionsintern dreht sich das Bild um 180 Grad, das sich bei der Analyse der Vernetzung über Fraktionsgrenzen hinweg zeigte. Die folgenden Grafiken zeigen auf den ersten Blick die wichtigste Erkenntnis: Die meisten Abgeordneten nutzen Twitter primär für die Vernetzung innerhalb der eigenen Fraktion. 

In der CDU/CSU-Fraktion ist Wirtschaftsminister Peter Altmaier das größte Sprachrohr/der Abgeordnete mit den meisten Follower*innen. Die Netzwerker*innen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion sind Marco Wanderwitz, Steffen Bilger und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak – also Abgeordnete mit fraktions- bzw. parteiinternen Spitzenposten: Zwei Staatssekretäre und ein Generalsekretär. Das trifft ebenso auf Ralph Brinkhaus (Fraktionsvorsitzender) zu. Die Anzahl der Bundestagsabgeordneten, die ihm folgen, hat sich nach der Übernahme des Fraktionsvorsitzes innerhalb eines halben Jahres nahezu verdoppelt.

Infografik: Fraktionsinterne Vernetzung CDU/CSU-Fraktion


Bei der SPD ist es gleich eine kleine Gruppe von Abgeordneten, die alle innerhalb der Fraktion gut vernetzt sind und das bei einer ähnlich hohen internen Reichweite. Carsten Schneider, Thomas Oppermann und Martin Schulz fallen hierbei etwas ab, sie nutzen Twitter vor allem als Sprachrohr innerhalb der SPD-Fraktion. Auch hier bestätigt sich also, dass (ehemaligen) Spitzenpolitiker*innen eine große Reichweite haben, während Politiker*innen aus der zweiten Reihe vor allem mit einer guten Vernetzung eine hohe Reichweite erreichen können – wie man anhand der Beispiele Johannes Kahrs, Dr. Eva Högl und Bärbel Bas sehen kann.

Infografik: Fraktionsinterne Vernetzung SPD-Bundestagsfraktion


Die Grünen sind fraktionsintern am besten vernetzt. Kaum Grünen-Abgeordnete folgen niemandem aus den eigenen Reihen zurück. Ausnahme ist Toni Hofreiter. Er nutzt Twitter nur um auf seinen Facebookaccount zu verweisen. Trotzdem hat er 10.500 Follower*innen, darunter auch knapp 50 Grünen-Abgeordnete. 

Wie schon bei der SPD gibt es bei den Grünen gleich eine kleine Gruppe von Abgeordneten, die innerhalb der Fraktion allesamt sehr gut vernetzt sind, unter anderem: Annalena Baerbock, Britta Haßelmann, Katrin Göring-Eckardt und Agnieszka Brugger. Insgesamt zeigt sich aber auch bei denen Grünen, dass sich die Fraktions- und Parteistrukturen stark auf Twitter widerspiegeln. Mit Katrin Göring-Eckardt (Fraktionsvorsitzende), Annalena Baerbock (Parteivorsitzende) und Britta Haßelmann (Geschäftsführerin) haben die Top-Netzwerkerinnen alle Spitzenpositionen inne (gehabt).

Infografik: Fraktionsinterne Vernetzung Fraktion Bündnis 90/Die Grünen



Wie bei der Grünen-Fraktion ist auch innerhalb der FDP-Fraktion die Vernetzungsdichte sehr hoch. (Fast) alle in der FDP-Fraktion folgen Christian Lindnerund er folgt zurück. Bei der fraktionsinternen Vernetzung wird deutlich, dass Christian Lindner Twitter durchaus zur Vernetzung nutzt – nur eben nicht über Fraktionsgrenzen hinweg. Weitere Netzwerker*innen innerhalb der FDP-Fraktion sind mit Marco Buschmann, Florian Toncar und Marie-Agnes-Strack Zimmermann keine Abgeordneten, die eine hohe Reichweite auch in andere Fraktionen haben. 

Infografik: Fraktionsinterne Vernetzung FDP-Fraktion 


Wie auch bei der Vernetzung in andere Fraktionen, fallen bei den Linken Stefan Liebich und Bernd Riexinger als Netzwerker innerhalb der Fraktion auf. Mit Niema Movassat ist außerdem ein Abgeordneter unter den Top-Netzwerker*innen der Linken, der keinen parteiinternen Spitzenposten innehat. Die Spitzenpolitikerinnen Katja Kipping und Sahra Wagenknecht nutzen Twitter hingegen auch innerhalb der eigenen Fraktion überwiegend als Sprachrohr und sind kaum mit den eigenen Fraktionsmitgliedern vernetzt.

Infografik: Fraktionsinterne Vernetzung Linksfraktion



Die AfD-Fraktion ist intern im Durchschnitt moderat vernetzt. Bei der AfD sind mit Frank Pasemann, Götz Frömming und Mariana Harder-Kühnel erneut Abgeordnete ohne Spitzenposten unter den besten fraktionsinternen Netzwerker*innen. Die Spitzenpolitikerinnen Beatrix von Storch und Alice Weidel haben innerhalb der AfD-Fraktion die größte Reichweite und sind durchaus auch gut vernetzt. Insgesamt gibt es bei der AfD-Fraktion viele Abgeordnete, die niemandem oder nur sehr wenigen Fraktionsmitgliedern zurück folgen, also sehr schwach vernetzt sind.

Infografik: Fraktionsinterne Vernetzung AfD-Fraktion



Bei der durchschnittlichen fraktionsinternen Vernetzung haben wir uns angeschaut, wie viele Abgeordnete der selben Fraktion sich im Mittel gegenseitig auf Twitter folgen. Außerdem haben wir jeweils den*die Abgeordnete herausgegriffen, der*die fraktionsintern am besten vernetzt ist.

Infografik: Durchschnittliche fraktionsinterne Vernetzung nach Fraktionen bei Twitter

Auffällig ist, dass die fraktionsinterne Vernetzung stark mit der Twitterquote der jeweiligen Fraktion korreliert, also dem Anteil der Abgeordneten einer Fraktion mit Twitteraccount. Die Grünen stechen deutlich heraus: Zurzeit die kleinste Fraktion im Bundestag und zugleich die Fraktion mit der zweithöchsten Twitterquote: Mit 93% nutzen fast alle Abgeordneten der Grünen Twitter. Gleichzeitig sind sie mit 77% untereinander sehr stark vernetzt. Ähnlich ist es bei der FDP-Fraktion: 95% der FDP-Fraktionsmitglieder twittern und mit 64% sind sie überdurchschnittlich stark innerhalb der eigenen Fraktion vernetzt. Auf der anderen Seite hat die CDU/CSU mit 139 von 246 Abgeordneten die geringste Twitterquote und gleichzeitig die geringste durchschnittliche interne Vernetzung (24%). Die Fraktionen, die insgesamt weniger auf Twitter vertreten sind, sind dort auch schlechter intern vernetzt.

Fazit


Nur wenige Abgeordnete sind auf Twitter über die eigenen Fraktionsgrenzen hinweg vernetzt. Der Großteil der twitternden Abgeordneten vernetzt sich nur innerhalb der eigenen Fraktion. Um fraktionsübergreifend besonders erfolgreich zu sein, ist ein Spitzenposten hilfreich. Die kleine Gruppe der Netzwerker*innen besteht aus „Heavy-Twitter-User*innen“ wie Dorothee Bär, Stefan Liebich und Johannes Kahrs – sie schlagen die Brücke zu den twitternden Kolleg*innen anderer Fraktionen am stärksten.

Insgesamt gibt es mehr Abgeordnete ohne fraktions- und parteiinterne Spitzenposten, die sich auf Twitter gut vernetzen und die Plattform damit anders nutzen als ein Großteil ihrer Kolleg*innen. 

57 Prozent vernetzen sich über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg
Infografik: Wieviele MdB vernetzen sich über eigene Parteigrenzen?
Sich nicht oder nur wenig zu vernetzen stellt die Normalität im Twitter-Bundestag dar. Twitter wird auch innerhalb des Bundestags von Vielen stark für eine Ein-Weg-Kommunikation und weniger zum Austausch bzw. zur Vernetzung genutzt. Twitter lediglich als Sprachrohr in die eigene Fraktion oder die Öffentlichkeit zu nutzen, ist der „default mode“.

Ganze 133 Abgeordnete sind gar nicht über Fraktionsgrenzen hinweg vernetzt. 269 der Abgeordneten sind gerade mal mit einem bis maximal 9 anderen Abgeordneten vernetzt. 138 Abgeordnete sind mit über 10 Abgeordneten vernetzt, aber lediglich 6 davon mit mehr als 59 Abgeordneten (und damit über 10% aller twitternder Abgeordneten). 



Autoren

Simon Storks
Simon Storks ist Berater bei pollytix strategic research. Er ist Soziologe (M.A.) und spezialisiert auf Methoden der empirischen Sozialforschung sowie politische Partizipationsforschung. Bei pollytix berät er auf Basis qualitativer und quantitativer Meinungsforschung Kunden im politischen und gesellschaftlichen Bereich.

Twitter: @SimonJDoe


 



Lutz Ickstadt
Lutz Ickstadt studiert Empirische Demokratieforschung (M.A.) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Wahlforschung. Zur Bundestagswahl 2017 hat er unter anderem bei einer Twitter-Analyse zum TV-Duell mitgearbeitet und den YouTube-Kanal "Was mit Wahlen" mit aufgebaut.

Twitter: @Ickyl






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